wortwechsel: Wie weit darf Kritik gehen?
Der ukrainische Botschafter ist bei den Leser*innen sehr umstritten. Was kann die Ukraine von Deutschland verlangen und in welchem Ton werden Forderungen vorgebracht?
Eskalation in der Ukraine
„Flucht im Panzerwagen“,
taz vom 14. 4. 22
Man ist schockiert und entsetzt über die Naivität, mit der im politischen und öffentlichen Diskurs voller Siegesgewissheit angenommen wird, dass Putin sich durch die Lieferung von Panzern und verschärften Sanktionen in die Enge treiben und zu Verhandlungen nötigen lassen oder gar mit einem Sieg der Ukraine abfinden werde. Er ist skrupellos und besitzt ein großes Massenvernichtungspotenzial. Er braucht nur ein AKW zu bombardieren, um – ähnlich wie die USA 1945 in Japan – das Land zur Kapitulation zwingen zu können! Was macht dann unsere Regierung, der Westen – in Solidarität mit den Leidenden? Nichts mehr – sondern nur noch den höchst wahrscheinlichen III. Weltkrieg zum unabwendbaren Schicksal erklären. „Weltuntergang“ wird von Ukrainern öffentlich als „Dann ist es eben so“ kommentiert oder „für die Freiheit kämpfen bis zum letzten Ukrainer“. Kein öffentlicher Aufschrei ist zu hören, weder von Medien- noch von Politik-Vertreter*innen! Vor allem Regierungsmitglieder und Abgeordnete aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP verdrängen diese Gefahr wissentlich und heizen den Konflikt immer weiter an. Und da spielt unsere grüne Außenministerin Baerbock eine besonders unrühmliche Rolle. Warum hört sie nicht auf den ehemaligen militärpolitischen Berater von Altkanzlerin Merkel, den Brigadegeneral a. D. Dr. Erich Vad? Dieser hat sich dieser Tage unmissverständlich gegen die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine ausgesprochen. Solche Lieferungen, wie von Baerbock und Sprechern der FDP und der Grünen lautstark gefordert, seien potenziell ein „Weg in den Dritten Weltkrieg“. Vad warnte davor, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin das Menschsein abzusprechen und ihn zum krankhaften Despoten abzustempeln, mit dem man nicht mehr reden könne. So völkerrechtswidrig und furchtbar der Ukrainekrieg sei, er stehe doch in einer Kette vergleichbarer Kriege jüngeren Datums.
Norbert Müller, Schwäbisch Gmünd
Gedicht zur Ukraine
Ukraineberichterstattung
taz vom 14. 4. 22
Klage der Ukraine
Denkt euch
meine Erde von Toten gefüllt
den ungezählt vielen
vielen.
Wo nur
ist Platz
für den Weizen von morgen
den frohen Stimmen
Tanz und Musik
Wo nur
für spielende Kinder
für ein Leben von morgen
und übermorgen.
Wo nur
ist Platz für den Frieden
in mir
und auch in euch.
Peter Hönig, Reinheim
Sich Gehör verschaffen
„Auf das Kanzleramt kommt es an“,
taz vom 14. 4. 22
Nicht nur einige taz-LeserInnen stoßen sich am Auftreten des ukrainischen Botschafters Melnyk, er ist ein landesweit beliebter Aufreger. Und das sagt einiges über Deutschland: Herrn Melnyks Botschaften und Anklagen scheinen manche schlimmer zu finden als deren Auslöser: Russlands barbarischer Krieg im Heimatland des Botschafters.
Solange das so ist, wird Melnyk über die Stränge schlagen müssen, um sich Gehört zu verschaffen. In diesem Sinne: Don’t shoot the messenger.
Lukas Daubner, Berlin
Ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk
„Auf das Kanzleramt kommt es an“,
taz vom 14. 4. 22
Die wiederholten Wortmeldungen des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk lösen bei mir Entsetzen aus. So groß mein Mitgefühl für die Leiden der ukrainischen Bevölkerung unter dem brutalen Angriffskrieg Putins ist, so unverständlich sind mir seine Sätze wie „Alle Russen sind Feinde“.
Diese Denkungsart führt zu einem jahrzehntelangen feindlichen Gegeneinander und macht nicht im Entferntesten den Versuch, zu einer Friedensordnung zu kommen, so schwer dies nach einem solchen Krieg auch fallen mag. Hätten die ehemaligen Kriegsgegner Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg so gedacht (und gehandelt), wäre diese Welt noch verwüsteter, als sie es ohnehin schon ist. Auch meine ukrainischen Freunde sind bestürzt. Im Ergebnis wirkt nicht Bundespräsident Steinmeier als eine Art fünfte Kolonne Putins in Deutschland, wie Melnyk behauptet, sondern der ukrainische Botschafter selbst.
Mit seinen hasserfüllten Tiraden ist er Wasser auf die Mühlen von Putins Gräuelpropaganda über Nazismus und Russenhass in der Ukraine. Er ist in der Tat – wie er selbst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagt – Soldat und nicht Diplomat und damit als Botschafter eine totale Fehlbesetzung.
Hilla Metzner, Berlin
Ukrainische Community
„Autos für Putin“,
taz vom 11. 4. 22
Russland spielt einen Hybrid-Krieg in Europa, auch in Deutschland. Russlands Geheimdienste FSB, GRU, SWR sind auch hier tätig. Im Moment bearbeiten die in vielen Städten sogenannte „Autokorsos für Frieden“. Die fahren mit Propaganda- Symbolik herum, skandieren „Putin“ und drehen es für eigene Sender. Ich bin der Meinung, wer mit Kriegsfahnen „Frieden“ propagiert, leugnet Tötung von Menschen, hat kein Recht auf ein demokratisches Instrument wie Demonstrieren. Nun am 8.–9. Mai planen die Geheimdienste wieder Autokorsos. Das ist ein Schlag ins Gesicht. Wir als ukrainische Community wollen nicht darauf warten, bis die Geheimdienste auch hier alles unter eigener Kontrolle haben. Wir wollen Kriegssymbolik und Autokorsos verbieten, da die auf Ethnozid hinweisen und Menschen zu Radikalisierung und Gewalt motivieren.
Pavlo Hrosul, Solidaritätsinitiative Bonn-Ukraine
Ungleichbehandlung von Flüchtlingen
„Es geht nur um ein bisschen Würde“,
taz vom 12. 4. 22
Die in Ihrem Bericht beschriebene Ungleichbehandlung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine einerseits und aus Afghanistan, Syrien und weiteren Kriegs-Ländern (s. u.) andererseits ist empörend. Die in der EU und in Deutschland täglich betonten „Werte“ als Grundlage der politischen Entscheidungen werden im Verhalten gegenüber Flüchtlingen mit Füßen getreten.
Ich möchte nicht missverstanden werden. Ich finde den Umgang mit den Fliehenden aus der Ukraine gut: Sie erhalten sofort einen Aufenthaltsstatus, müssen keinen Asylantrag stellen, können frei mit den Verkehrsmitteln fahren, dürfen sofort arbeiten, erhalten kostenlos medizinische Betreuung – alles hervorragend, schnell und vergleichsweise unbürokratisch.
Aber im krassen Gegensatz dazu werden Flüchtlinge aus anderen Kriegsgebieten, z. B. Afghanistan, Syrien, Jemen, Libyen,Tschetschenien, Äthiopien, Somalia, wo ähnlich grausame Kriege schon seit Jahren oder Jahrzehnten toben, an den EU-Außengrenzen mit Stacheldraht und Wasserwerfern empfangen; die Europäer schauen tatenlos zu, wie Tausende in der Sahara verdursten oder im Mittelmeer ertrinken.
Wer es doch bis nach Deutschland geschafft hat, erlebt tagtäglich Schikanen wie in Ihrem Bericht dargestellt. Leider müssen wir da einen latenten Rassismus annehmen, der, vielleicht unbewusst, verhindern will, dass Flüchtlinge etwas Farbe in unser blasses Land bringen.
Winfrid Eisenberg, Herford
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