: Die Musik im Kasten wachsen lassen
EXPERIMENTALPOP Das Elektroakustik-Duo Pirx betreibt zupackende Klangforschung im Songformat. Heute spielen die vor kurzem von Köln nach Berlin umgesiedelten Musiker im Feed Soundspace
VON TIM CASPAR BOEHME
Erst Aufbau, dann Aufbruch: So könnte man die jüngere Entwicklung der Musiker Marion Wörle und Maciej Sledziecki beschreiben. Wie viele ihrer Kollegen haben sie ihre Heimat, in diesem Fall Köln, verlassen, um nach Berlin zu ziehen. Allerdings haben die beiden ihre Zelte nicht etwa abgebrochen, weil sie im Rheinland keine Möglichkeiten mehr gesehen hätten. Sie sind sogar ungebrochen aktiv am Kölner Musikleben beteiligt, wenn auch aus der Ferne.
Wörle und Sledziecki, die sich vor sechs Jahren zusammentaten, um als Pirx in ihrer Musik unbetretene elektroakustische Wege zu erkunden, haben sehr viel für die experimentelle Szene Kölns getan. Dort betreiben sie seit 2005 die Konzertreihe Nachtjournal und gründeten das Zentrum für aktuelle Musik (ZAM), das unter anderem interdisziplinäre Projekte entwickelt oder Workshops organisiert. Ihre eigene Musik erscheint auf ihrem Label Satelita. „Es war uns wichtig, dass wir in Köln etwas aufbauen“, sagt Marion Wörle. „Es war aber auch schon seit Jahren klar, dass wir in Köln nicht ewig bleiben werden.“
Telematisch arbeiten
Dass sie vor einigen Monaten in Berlin gelandet sind, ergab sich eher zufällig: „Wir hatten eigentlich vor, immer ein paar Monate im Jahr in einer anderen Stadt zu verbringen“, ergänzt Maciej Sledziecki. „Das war unser ursprüngliches Ziel. Aber nach zwei Monaten in Berlin haben wir hier Freunde getroffen, und die haben uns eine Wohnung angeboten. Dann haben wir gesagt, o. k., verlagern wir den Schwerpunkt erst einmal hierher.“ Marion Wörle ergänzt: „Für 90 Prozent meiner Arbeit ist egal, wo ich bin.“
Mit ihrer Musik passen Pirx andererseits so gut zu Berlins frei improvisierender, experimenteller Echtzeitmusik-Szene, dass der Stadtwechsel durchaus naheliegend erscheint. Wörle und Sledziecki machen als Pirx sehr schön vor, was geschieht, wenn ein im Jazz sozialisierter Gitarrist und Komponist mit einer auf Raumakustik spezialisierten Architektin und Computermusikerin zusammentrifft. Eine Begegnung, die alles andere als selbstverständlich und nicht unbedingt einfach ist, bekennt Sledziecki: „Am Anfang hatten wir das Problem, dass wir anders an Musik rangehen, auch wenn wir sehr gern und sehr viel Musik zusammen machen. Ich will so einen Kasten machen und die Musik da reinstecken, und Marion will mehr wie eine Gärtnerin die Musik wachsen lassen.“
Dass diese Gegensätze zu einer gemeinsamen Ästhetik führen können, lässt sich bestens an ihrem zweiten, im vergangenen Herbst veröffentlichten Album „Sie sind hier jetzt“ (taz vom 8. 12. 2011) nachvollziehen. Die Aufnahmen sind während einer künstlerischen Residency am Amsterdamer STEIM, dem Studio for Electro Instrumental Music, entstanden und erinnern an abstrakten Krautrock. Man hört nicht weiter definierbare Geräusche, die sich allmählich entfalten oder spielerisch umeinander herumtanzen, dazwischen taucht immer wieder Sledzieckis fragmentierte Gitarre auf. Für Laptop-Experimente scheinen die Stücke auf sehr konkrete, sinnliche Weise ungreifbar, lassen aber stets einen klaren Aufbau erkennen, mag er noch so seltsam sein.
Schicht auf Schicht
Am Entstehungsprozess von „Sie sind hier jetzt“ wird zudem deutlich, dass manche künstlerischen Konzepte stark ortsgebunden sind. Als Wörle und Sledziecki nach Amsterdam gingen, hatten sie vorab wochenlang geprobt und eine Reihe von Ideen, was sie einspielen wollten. „Im Studio hat das aber überhaupt nicht funktioniert“, so Sledziecki. „Wir haben alles ausprobiert, und es fühlte sich irgendwie komisch an.“ Nach einer Auszeit wurde kurzerhand der lokale Percussion-Laden geplündert. Mit der Ausbeute legten sie Klangschichten über Klangschichten, die im Ergebnis durchgehend zwingend und nie überladen wirken.
Auf der Bühne lässt sich dieser Prozess nicht vollständig rekonstruieren. Dafür haben Pirx eine Software zum Live-Sampling entwickelt, mit der sie ihrer Vorgehensweise auf dem Album sehr nahe kommen. Das bedeutet im Verhältnis zu ihren früheren Konzerten jedoch auch weniger Improvisation und mehr Konstruktion. „Diese neue Software-Umgebung hat die Pirx-Sprache sehr verändert“, so Wörle. Damit nähern sie sich zugleich stärker an Formate an, wie man sie aus dem Pop kennt. Und das ist durchaus im Sinne der Erfinder: „Die Stücke sind schon als Songs gedacht.“ Heute sind Pirx im Feed Soundspace zu hören.
■ 22 Uhr, Feed Soundspace, mehr unter www.nkprojekt.de