: Seltene Genüsse
TAG DES OFFENEN DENKMALS Am Sonntag sind im Lande Bremen 40 „historische Orte des Genusses“ geöffnet – darunter solche, die sonst praktisch nie zu sehen sind
von Jan Zier
Fast wäre er schon abgerissen worden, der alte Marmorsaal von Kaffee Hag in der Überseestadt. Die ersten Abbruchanträge waren bereits gestellt, und er hatte auch schon gut 15 Jahre leer gestanden. War dem Verfall preis gegeben. Die wechselnden Besitzer des 1906 für Ludwig Roselius errichteten, damals viel beachteten Fabrikbaus – eine der ersten Eisenbetonarchitekturen überhaupt – wussten nicht recht etwas mit der Brache anzufangen. In den neunziger Jahren kamen dann Sprayer, dazu Metalldiebe. Einer von ihnen setzte auch den Marmorsaal mehrere Tage unter Wasser, mittels eines Rohrbruches. Inzwischen wird der Raum aufwändig saniert. Und wieder dem einstigen Zweck angenähert: Seit 1914 wurde hier Kaffee degustiert, nach dem 2. Weltkrieg entstand dort das Direktionskasino. Ein historischer Ort des Genusses also – deshalb sehr passend zum Motto des diesjährigen Tags des offenen Denkmals. Zugleich ist der Sonntag vorerst die einzige Gelegenheit, den Saal zu sehen, eher er, irgendwann, wieder der Öffentlichkeit übergeben wird. (Führungen: 12 und 14 Uhr, Treffpunkt: Hag-Turm, Cuxhavener Straße).
Gleich nebenan sitzt „Lloyd Caffee“, eine kleine Rösterei, die den Kaffee an die (formell nicht mehr existente) Hagstraße zurück gebracht hat. Dort wird auch verköstigt – ebenso wie in der Altstadt, in der mit vielen Details der Nachkriegszeit ausgerüsteten Rösterei Münchhausen (Geeren 24). Die 1935 gegründete Firma ist eine der letzten kleinen Röstereien, die den Konzentrationsprozess der Branche überlebt haben. Am Sonntag ist sie von 14 bis 17 Uhr geöffnet, Führungen gibt es ständig, nach Bedarf.
Aber natürlich kann es nicht nur ums Kaffeetrinken gehen, wenn in Bremen vom Genuss die Rede ist. Es soll auch geraucht werden: und zwar in der Tabakbörse von 1961. Ein 100 Meter langer Backsteinbau im Freihafen (Speicherhof 1), der einzige Ort auf der Welt, an dem edler Zigarrentabak aus Indonesien versteigert wird. Diesen vom Aussterben bedrohten Börsenhandel in postkolonialer Tradition gibt es am Sonntag nur im Film zu sehen, dafür gibt es Tabakproben zum Anfassen, Beschnuppern – und natürlich edle Sumatra-Zigarren zum Schmöken (Führungen: 14 und 16 Uhr).
Weg von den leiblichen Genüssen, wie sie der jugendstilgeprägte historische Kaufmannsladen „Wilhelm Holtorf Colonialwaren von 1874“ im Viertel (Ostertorsteinweg 6) natürlich auch heute bietet, in diesem Fall von 14 bis 18 Uhr.
Natürlich stehen am Tag des offenen Denkmals auch jene Orte offen, die auch sonst das „Rückgrat“ des Programms bilden, wie Landeskonservator Georg Skalecki sagt: die Kirchen also. Dazu das Rathaus nebst seinem Keller, der seit 1405 den damit ältesten Weinhandel Deutschlands beherbergt, die Glocke oder die Bürgerschaft.
Eröffnet wird der Tag übrigens um 11 Uhr im kürzlich ebenfalls noch dem Abriss geweihten Sendesaal von Radio Bremen (Bürgermeister-Spitta-Allee 45). Skalecki wird dort auch ein paar programmatische Worte sprechen. Er hat einen „Sinneswandel“ ausgemacht: „Leichtfertiges Wegwerfen kultureller Objekte ist nicht mehr möglich.“
Das ganze Programm für Bremen und Bremerhaven findet sich unter www.denkmalpflege.bremen.de