: Dependance der Diktatur
SCHAUFENSTER Zum Kürbisgelee eine Karaoke-Choreografie: In Amsterdams „Pyongyang Restaurant“ gibt es Nordkoreanisches. Fast ohne Propaganda
AUS AMSTERDAM TOBIAS MÜLLER
Nach dem Hauptgericht ist es an der Zeit für eine Schmonzette. Han Myong Hai dreht die Musik langsam aus, greift zum Mikrofon und startet die Karaoke-CD. Zu klebrigen Synthesizern präsentieren Han und So Ji Hye ihre Choreografie aus getrippelten Vierteldrehungen und schwingenden Armen, gänzlich im Gleichschritt. Wie Synchronschwimmen auf dem Trockenen ist das, zwischen einer Fahne und dem Flachbildschirm, auf dem Bilder von Bergen, Flüssen und Soldaten flimmern. Die Gäste klatschen kauend im Takt. Manche zücken Kameras, wann sieht man so was schon, und dann schmettern die zierlichen Frauen inbrünstige Worte, getragen von ausladenden Gesten. Liebeslieder? Ja, sagt Han nach dem Auftritt, sie handeln von Liebe und von unserem Land.
Willkommen in einer wundersamen Institution namens Pyongyang Restaurant. Selten sonst in Europa kann man, wie hier im Quartier Osdorp im Westen Amsterdams, nordkoreanisch essen. Ach was, essen – eintauchen in ein Kulturprogramm mit Schlemmerei, Karaoke, Kostümtanz und Klavier. Verantwortlich dafür: die Kellnerinnen, vier an der Zahl, die den Rest des Abends mit geradem Rücken und durchgestreckten Armen an der Wand stehen und wie auf Knopfdruck in Tüllröcken über den Parkettboden rauschen, ein Elfengang in Gelb, Knallrosa, Blassrosa und Weiß, mit reichlich Blütenaufdruck.
Der Mann, der sich all das ausgedacht hat, weilt im Hintergrund. Remco van Daal, ein gelernter Drucker, der einst aus Neugier nach Nordkorea reiste, von den fremden Eindrücken fasziniert war und seither viermal dorthin zurückkehrte. Irgendwann hatte er die Idee, die unbekannten Seiten eines abgeschlossenen Landes weiter westlich zu zeigen – und ein Pyongyang, das ihm zufolge nichts mit der Kette zu tun hat, die in Südostasien mit Restaurants desselben Namens vertreten ist, in Europa zu eröffnen. Er zeigte seinen Plan der Tourismusbehörde in Pjöngjang, die wiederum beauftragte ein nordkoreanisches Restaurant in Peking, das größte im Ausland, mit der Auswahl des Personals. Es dauerte einige Zeit, bis die Visa-Angelegenheiten für die neun Angestellten geregelt waren.
Als das Pyongyang im Januar öffnete, war man in Amsterdam zunächst skeptisch. Schließlich fungieren nordkoreanische Restaurants in asiatischen Ländern nicht nur als kulinarische Botschafter, sondern auch als Devisenquelle des Regimes. Wenn das Paradepferd dieses Rennstalls nun die Belegschaft für ein Restaurant in Europa auswählt, kann dieses dann mehr sein als eine Dependance? Bleibt da Platz für das unpolitische Projekt, das seinem Besitzer vorschwebt?
Van Daal hat keine besonderen Sympathien für den geliebten Führer und seinen Sohn. Schon vor dem Restaurant gründete er eine Stiftung, um der von Nahrungsmittelknappheit geplagten Bevölkerung der Volksrepublik zu helfen. Oben im ersten Stock betreibt er eine nordkoreanische Galerie, mit Kunst, Musik und Filmen, Tourismusbroschüren und Propagandamaterial. Letzteres, versichert er, war keine Bedingung für das Restaurant. Es liege hier aus, weil es eben dazugehöre zu diesem Land und damit zu seinem „Stückchen Nordkorea in Osdorp“.
Apropos Osdorp, dieser Stadtteil in Amsterdam. Irgendwie passt das Ambiente des Pyongyang dort hin, denn mehr Nordkorea wird Amsterdam nicht. Kein Tourist, der je seinen Fuß in diese Betonsteppe mit ihren Wohnsilos setzt. Zufall, sagt Remco van Daal, dass gerade hier ein passendes Gebäude frei war. Doch das Spiel mit den Klischees gefällt ihm auch. „Man denkt: Was für eine seltsame Gegend.“
Die schwarze Folie auf den Fenstern des unscheinbaren Backsteinhauses bekräftigt dieses Gefühl. Verschlossen wie das Land gibt sich das Pyongyang Restaurant. „Man soll nicht sehen, wo man hierhin kommt“, sagt der Besitzer. Bloße Dramaturgie. Denn wenn um 19 Uhr die Tür aufgeht und die Elfen ihr „Willkommen“ hauchen, werde man, glaubt van Daal, „hineingesogen nach Nordkorea“.
Es beginnt verhalten mit einer Tasse dünnen Maistees. Dann zünden sie in der Küche ein Feuerwerk, das auch einen anwesenden Südkorea-Korrespondenten auf Heimaturlaub beeindruckt.
Das Zauberwort heißt banchan, winzige Portionen verschiedenster Gerichte, die in Korea zum Reis verspeist werden. Im Pyongyang sind sie in ein Konzept aus Essensgängen integriert, wie der Korrespondent fachkundig anmerkt, ein Zugeständnis ans vorwiegend westliche Publikum. Dennoch kredenzen die Elfen eine Armada von Schälchen. This is traditional Korean dish, erklären sie Mal um Mal, und notfalls demonstrieren sie, wie dieses zu essen ist.
Als Vorspeise kommt ein Pilzdreierlei auf goldener Platte, angebraten, eingelegt in Paprika und Öl und in Kräutermarinade, dazu ein bemerkenswert salziges Sesamdip. Weiter geht’s mit gerösteten Algen, milden Bohnenpfannkuchen, einer Offenbarung von gegrilltem Barsch und dem ersten Kimchi. Die fermentierten Gemüsegerichte sind die Klassiker der koreanischen Küche. Dank ihrer Chili-Injektion können die Gurken des Pyongyang die Einschätzung widerlegen, nordkoreanische Kimchi seien vergleichsweise fade. Der Kohl einen Gang später kann das Niveau problemlos halten. Zart das bulgogi, gegrillte Scheibchen von Rind und Huhn, scharf das Reisgericht bibimbab aus verschiedenen Gemüsesorten.
Trotz dieser Vielfalt bleibt den Gästen eher wenig – und eine teure – Auswahl, fünf Gänge für 49 Euro oder neun für 79 – alles andere ist marktwirtschaftlicher Firlefanz. Immerhin gibt’s die ein oder andere denkwürdige Performance dazu: die talentierte So Ji am Piano zum Beispiel oder dieses fast schon frivole Lied, in dem drei der Mädchen plötzlich gefüllte Rotweingläser schwingen, mit den Gästen anstoßen und dabei schauen, als wollten sie es heute mal richtig krachen lassen.
Wenig später haben sie die Contenance zurückgewonnen. Besonders viel Kommunikation ist in ihrer Rolle als Kulturbotschafterinnen ohnehin nicht vorgesehen. Amsterdam gefällt ihnen allen gut, säuseln sie, vor allem die freundlichen Menschen. Aber selbst die, deren Englisch am flüssigsten ist, sind immer dann very busy, wenn sich Besucher für weitere Details interessieren. Nach Ablauf des Programms kommt erst die Rechnung und danach das Dessert, ansehnliche Häppchen aus Kürbisgelee und Reisküchlein. Wobei erwähnt sein sollte, dass der Autor und sein Begleiter die Öffnungszeiten des Restaurants maßlos überzogen.
Wenn die Gäste verschwunden sind, wirkt das Pyongyang im Schein des Neonlichts nur noch wie das Gemeindezentrum, das es einstmals war. Die Gastgeberinnen begleiten zur Tür. Und dann stehen sie dort und winken und winken, als wollten sie nicht mehr aufhören.