ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Nikos Dimou, das alte Feierbiest
Andere Völker haben Institutionen, wir haben Luftspiegelungen,“ behauptet Nikos Dimou in seinem Aphorismenbändchen „Über das Unglück, ein Grieche zu sein“. Der griechische Philosoph hatte es 1975 veröffentlicht, ein Jahr nach Ende der Obristendiktatur. Der Kunstmann Verlag legte es dieses Frühjahr auch im Deutschen neu auf. Tatsächlich scheinen viele von Dimous Überlegungen erstaunlich aktuell.
Was an Dimou besticht, ist eine saloppe Rhetorik, die in wenigen Worten große Thesen mit prägnanten Selbstbeschimpfungen zusammenbringt. Als souveräner Philosoph spielt er mit den griechischen National- und Strahlmythen, um sie auf eine um so schattigere Gegenwart zu beziehen. 1975, da war die Obristendiktatur in Griechenland gerade ein Jahr vorüber. So wie in Portugal (ab 1974) und Spanien (ab 1975) setzte auch in Griechenland der Übergang von faschistischen Diktaturen zu halbwegs demokratischen und auch im Wirtschaftlichen rechtsstaatlichen Gebilden erst sehr spät ein. Entsprechend zielte Dimous Buch auf die seltsame Mischung von nationaler Selbstüberhöhung und Minderwertigkeitskomplex, die die alte konservative griechische Gesellschaft kennzeichnete.
Die These seines Buchs ist, „dass beim Neugriechen aufgrund seiner Geschichte, seines Erbes und seines Charakters die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit größer ist als beim Durchschnitt der anderen Menschen“. Gegen das nationalistische Exobristenlager gerichtet, schien diese Mentalitätspolemik erhellend zu sein. Doch aktualisiert vor der heutigen Euro- und Wirtschaftskrise? „Können Deutsche und Griechen sich jemals verstehen“, fragte der Spiegel Dimou letzte Woche. Der antwortete: „Der Grieche braucht den Deutschen, weil der Dinge kann, die er nicht kann, und der Deutsche braucht den Griechen, weil er diese Lust am Leben hat, die den Deutschen glücklich macht.“ Der nächste Ouzo geht aber bitte aufs Haus.
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat