: Superschlank turnte sie
CLUB Treffen von Raveveteranen und Nachwuchs: Polkapunk und Osteuropa-Techno-Folk spielten Pilocka Krach und Der Dritte Raum im Horst Krzbrg
In dieser Nacht kamen viele Ex zusammen: das Horst Krzbrg am Tempelhofer ist Ex-Post; das Domäne-Kaufhaus daneben Ex-Hertie, als Exbewohner dieser Gegend freute ich mich, meine Exmitbewohnerin zu treffen, die ausdauernd im Pulk der Menschen direkt vor der Bühne tanzte. Mein ehemaliger Mitschüler Gunnar war auch dabei, und die Party, bei der eigentlich das Erscheinen zweier neuer Platten – vom Dritten Raum und von Pilocka Krach – gefeiert werden sollte, war recht schön, auch wenn die des Dritten Raums dann doch nicht fertig geworden war.
Der Dritte Raum, das gerne „DDR“ abgekürzte Projekt des Ex-Göttinger Produzenten Andreas Krüger, entstand Anfang der 90er-Jahre. Die Musik besteht, wie man so sagt, aus betont kurzen Snare Drums, komplexen Hi-Hat-Strukturen, markanten Bassläufen, viel Klickern, Klackern, Geknarze und komischen Geräuschen. Mitte der Neunziger, als es noch eher so Richtung Goa und Trance ging, waren die frühmorgendlichen Liveauftritte, die Krüger mit Ralf Uhrlandt hinlegte, Höhepunkt nicht nur der damals noch überschaubaren Fusion. Einen Hit, der überall ständig lief, hatte es auch gegeben: „Trommelmaschine“. Dann war die Musik minimalistischer geworden und in letzter Zeit wieder ein bisschen melodiöser, wie mir scheint. „Swing Bop“ aus dem letzten Jahr hatte dann richtig fröhlich, jahrmarktmäßig, leicht nostalgisch und wie ein paar Sachen von Eric Nouhan aus den 90ern geklungen.
Polkapunk und Glamrock
Langsam füllte sich der Club mit unterschiedlichen Partygängern; verwaisten Gästen der Bar25, alten und neuen Fans vom Dritten Raum, Pilocka Krach und Sven Dohse (der am Ende auch noch auflegen sollte) sowie Jugendlichen, die bestimmt im Youthhostel am HAU wohnten, wie ich mir vorstellte. Rote und grüne Laserpointerpünktchen trieben sich im Raum herum, hielten mal da, mal da, zerstoben ab und an auch hübsch, und manchmal sahen die bepunkteten Leute ein bisschen aus wie Weihnachten. DJane La Niña bereitete den großartigen Auftritt von Pilocka Krach vor, die ihre neue Platte „Delusions of Grandeur“ vorstellte. Krach trug ein weißes Unterhemd mit einem großen roten Punkt und begann so irgendwie polkapunkmäßig. Superschlank turnte sie hinter und über ihren Geräten herum; die dunkelbraunen Locken hingen wild im Gesicht. Bei dem Stück „Gitarre spielen“ (wie Bob Dylan) hatte sie eine Spielzeuggitarre in der Hand; gegen Ende sang sie in ein bunt leuchtendes Mikro. Sie wirkte gleichzeitig leicht arrogant und begeisternd mitreißend und brachte jedenfalls alle Leute auf ihre Seite. Im Grunde genommen war das richtig guter Glam-Rock. Und ihre von Andreas Krüger produzierte Platte, um die es ja ging, klang auch zu Hause noch prima. (Lustigerweise singt die Kollegin Laura Ewert bei einem Stück mit.)
Ein Bart im Gesicht
Wir hingen dann draußen herum. Am Rande sprachen Zwanzigjährige über wichtige Dinge wie Freundschaft. Irgendwie ist es auch wie ein Veteranentreffen, hatte Judith gesagt, und ich hatte kurz gestutzt, weil ich sie in meinem Kopf unter „die Jugendliche“ gespeichert hatte und nur den Dritten Raum und Sven Dohse zu den Älteren zählte.
Um vier begann dann der Dritte Raum. Der Anfang war klasse und ging auch so Richtung Osteuropa-Techno-Folk. Mitreißend fummelten die beiden an ihren Geräten herum, doch irgendwann hatte man das Gefühl, dass sie sich bei ihrem Anderthalb-Stunden-Auftritt irgendwie verläpperten; man schaute ihnen immer noch gern zu, aber wie sie sich bewegten, passte nicht mehr richtig zur Musik, die manchmal zu ausgedacht wirkte, um abzugehen, sozusagen; manches funktioniert vielleicht besser zu Hause – keine Ahnung. Es war spät und ich schon ziemlich erledigt, was mich sehr ärgerte, denn Sven Dohse, der Langzeitheld alternativ orientierter Techno-Openairs, dessen Auftritte ich immer toll gefunden hatte, den ich zwei Jahre nicht gesehen hatte und der nun lustigerweise einen Bart trägt im freundlichen Gesicht, begann gerade aufzulegen; es war wieder schön und super, dann ging’s aber doch nicht mehr. Vor dem Club sammelten Flaschensammler die Reste der Nacht; mein Späti machte gerade auf, die ersten Trinker saßen vor der Bäckerei. DETLEF KUHLBRODT