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Archiv-Artikel

Der ganz normale Fußballwahnsinn

GEWALTPRÄVENTION Eine Lehr-DVD des Fußballverbandes bildet Vorfälle auf und neben dem Spielfeld ab

Die Macher haben sich zehn Monate in der Szene umgeschaut

65 Minuten beträgt die Spielzeit der DVD, die der Berliner Fußball-Verband (BFV) in Auftrag gegeben hat. 34 Kurzfilme, zusammengestellt vom Kreuzberger Journalistenbüro „flex“, zeigen den ganz normalen Wahnsinn auf den Sportplätzen der Stadt. „Prävention im Amateurfußball“, lautet der Titel des Werks, das in einer Stückzahl von 1.000 Exemplaren aufgelegt worden ist. Der Untertitel klingt wie ein Ratgeber für reine Haut – doch der Inhalt liegt den BFV-Funktionären sehr am Herzen: „Tipps & Tricks für die Vereinsarbeit – bevor aus Frust Gewalt wird“.

„Ein gewagtes Ziel“, gesteht Gerd Liesegang, Vizepräsident des BFV und geistiger Vater der DVD. Der Mann wirkt zufrieden mit dem Material. „Ein Mosaikstein wird hinzugefügt in unsere Präventionsarbeit.“ Die zeitigt erste Erfolge: Die Zahl der gemeldeten Vorfälle und die der Sportgerichtsprozesse sinken. „Wir werden die DVD deutschlandweit den anderen 20 Landesverbänden zukommen lassen“, verkündet Präsident Bernd Schultz.

Was Westfalen, Schwaben oder Thüringer auf der DVD aus Berlin zu sehen bekommen, dürfte sich mit den Vorstellungen decken, die man vielerorts von der hiesigen Fußballszene hat. Da rempeln Kids, Trainer zetern, Eltern grölen, Rechtsradikale stören und Schiris geraten unter Druck. „Wir haben Szenen nachgestellt, die im Berliner Fußball tatsächlich vorgekommen sind“, erzählt Liesegang.

Die Macher von „flex“ haben sich zehn Monate lang als Fußballethnografen in der Szene umgeschaut, um möglichst authentische Vorfälle zu rekonstruieren. „Wir haben mit Leuten gesprochen, die etwas erlebt haben“, berichtet der Journalist Holger Wegemann.

Realistisch in Szene gesetzt, werden die Gewaltkapitel mit Tipps verlinkt, wie man dem Treiben Einhalt gebieten kann. Die DVD zeigt Antigewalttrainer bei der Arbeit mit aufmüpfigen Jugendlichen, die plötzlich wieder wie Kinder wirken. Fast schon komisch mutet das Kapitel über auffällige Eltern an, die auf den Rängen nicht selten für eine hitzige Atmosphäre beim Spiel ihrer Kids sorgen. Als Beispiel, wie diese Klientel, die ihren Nachwuchs nicht selten als Altersvorsorge betrachtet („Wenn mein Junge erst mal ein Star ist …“), besänftigt werden kann, dient die Einrichtung eines „Elternfanbeauftragten“ beim 1. FC Schöneberg: Die Väter stehen zusammen am Spielfeldrand. Einer achtet auf den anderen, die anderen ermahnen den einen, der aus der Rolle fällt. Gemeinsam startet man nach dem Abpfiff eine La Ola mit den Kids. „Eltern werden oft zu schwierigen Partnern am Rande des Platzes“, sagt „flex“-Frau Ursula Voßhenrich.

Vergangene Woche hat der BFV mit der Verteilung der DVD an seine mehr als 300 Clubs mit rund 6.000 ehrenamtlichen Helfern begonnen. „Wir erhoffen uns Hilfe für die Leute, die unten arbeiten“, erklärt Vize Liesegang. Weitere Kopien gehen an die DFB-Zentrale in Frankfurt am Main, die den Hauptstadtverband als Avantgarde in Sachen Gewaltprävention und soziale Integration schätzt.

Möglicherweise können auch andere Sportverbände auf den Expertenfundus der Kicker zurückgreifen. „Wir sind in Diskussionen mit dem Landessportbund Berlin, diese Erfahrungen in andere Bereiche hineinzutragen“, erklärt Berlins Sportstaatssekretär Thomas Härtel. Wobei die BFV-DVD eventuell als starker Tobak empfunden werden könnte. Härtel: „Im Fußball stellen wir mehr Gewaltphänomene fest als im anderen sportlichen Bereich.“ JÜRGEN SCHULZ