: Barfuß im Schnee stehen
Valérie Wagner hat in Hamburg lebende Ordensleute fotografiert und auf öffentlich aufgehängten Triptychen abgebildet
von Petra Schellen
„Was kann ich tun, um Erleuchtung zu erlangen?“ – „Du kannst versuchen, Dich ruhig hinzusetzen. Wenn Du es wagst“, antwortet der Meister. Ruhig hingesetzt hat sie sich, unterhalten hat sie sich, fotografiert hat sie sie – jene Frauen und Männer, die in Ordensgemeinschaften mitten in Hamburg leben. „Die Idee, ein Projekt mit Ordensleuten zu gestalten, bewegt mich schon seit Jahren“, sagt Fotokünstlerin Valérie Wagner, die ein Jahr auf Recherche und Umsetzung jener 13 großformatigen Porträts verwandt hat, die derzeit Hamburgs Gebäude zieren.
Triptychen, verteilt auf Innenstadt und Hafencity, sind daraus entstanden – allerdings nicht, wie üblich, waagerecht, sondern senkrecht: Als wolle sie sie zusätzlich erden, hat Wagner Kopf, Hände und Füße der Ordensleute abgelichtet und mit Bedacht auf Wiedererkennungseffekte verzichtet: Barfüßig hat sie die Karmelitinnen, Franziskaner und Dominikaner fotografiert, hat angeschnittene Gesichter mit beläufig erkennbarer Tracht ins Bild gebannt, „damit man nicht sofort die Ordenstracht erkennt und sofort wieder wegschaut, weil man denkt, man wüsste schon alles.“
Denn tatsächlich, man weiß nicht: Nicht, dass rund 30 religiöse Gemeinschaften in Hamburg residieren – einige bestehen aus bloß drei Personen – nicht, dass einige von ihnen – wie die Diakonische Basisgemeinschaft „Brot und Rosen“ – weltlich sind. Und allenfalls vom Hörensagen weiß man, dass die Ordensleute ihre Lebensform als frei empfinden. „Ich bin froh, dass unser Orden auf diese Weise bekannt wird“, hat eine Franziskanerin geschrieben. „Es war etwas unangenehm, für die Fotoaufnahmen barfuß im Schnee zu stehen. Aber wenn es einen Nutzen hat, ist es in Ordnung“, schreibt ein junger tibetischer Buddhist.
Eitelkeit hat die Ordensleute nicht bewogen, an dem Projekt teilzunehmen. „Natürlich, einige von ihnen haben hierin eine Chance gesehen, endlich öffentlich zu ihrer Entscheidung für diese Lebensform zu stehen“, erzählt Valérie Wagner. Ungeschminkt, mit baren Händen und – Füßen. Ein wunder Punkt für die meisten – nicht deshalb, weil man dafür im Winter barfuß auf kaltem Asphalt posieren musste. Nein, die vermeintlich mangelnde Ästhetik besonders älterer Füße habe einige der Porträtierten mit Scham erfüllt – „dabei sind die Füße eines Menschen fast noch ehrlicher als die Hände: Sie zeigen deutlich, welche Lasten dieses Leben schon getragen hat. Sie sind Zeit-Zeugen, gewissermaßen.“
Für die Hand-Partie wiederum hat sich Wagner etwas anderes ausgedacht: Einen persönlichen Gegenstand sollten die Ordensleute in die Hände nehmen – und doch sind einige davor zurückgeschreckt: Ein Opferlicht, die Stola, zu brechendes Brot haben einige gewählt – aber auch eine türkische Flöte, die an die mystische Tradition der Sufis erinnert. Und einen Tennisball. „Die betreffende Nonne spielt selbst gern Tennis“, sagt Wagner. „Aber sie konnte sich nicht entschließen, das in ihrem im Katalog abgedruckten Kommentar deutlich zu sagen.“ Als Symbol für Spiel und Lebensfreude hat sie den Ball stattdessen bezeichnet. Eine andere Nonne hat einen kleinen Teddy gewählt, den ihr eine inzwischen verstorbene Mitschwester geschenkt hatte.
Als interreligiös, aber nicht multikulturell begreift Wanger ihr Projekt; Voraussetzung für die Teilnahme war das Leben in Gemeinschaft und/oder die klösterliche zölibatäre Lebensform innerhalb Hamburgs. Ob die vielen Gesprächen mit den Ordensleuten aber nicht auch kritische Zwischentöne bargen? „Selbstverständlich, denn auch dieser Weg bringt Probleme. Als größte Krise haben die meisten allerdings die Entscheidung für das Ordensleben empfunden“, berichtet Wagner. Es müsse sehr schwer gewesen sein, dies vor dem eigenen Ego und vor der Familie zu rechtfertigen. „Aber alle haben mir gesagt, dass sie dies letztlich tun mussten, weil sie alles andere beunruhigt hätte.“
Verschlungene Wege vom normalen „weltlichen“ Berufsalltag über tastende Spritualität bis zum Eintritt in den Orden hat Valérie Wagner vorgefunden, hat im Laufe dieses Jahres viel über Freiheit und Anderssein gesprochen. Und hat erfahren, dass keineswegs alle Ordensleute ganztägig ins Gebet versunken sind. „Sicher, die gibt es auch – muss es auch geben, stellvertretend für all die anderen, die das nicht tun. Aber die meisten Orden widmen sich sozialen Anliegen: der Jugendseelsorge, der Krankenpflege, der Flüchtlingsbetreuung.“
Engagiert und unspektakulär waren die Menschen, mit denen sie sprach. Eindringlich und froh blicken sie von sechs Kirchen und sechs weltlichen Gebäuden auf den Betrachter herab. „Diesseits“ heißt mit Bedacht die Schau, denn „dies ist Teil modernen urbanen Lebens“, sagt Wagner. Die während der Vorarbeiten an manchem Klischee nicht vorbeigekommen ist: „Wenn ich bei den Kirchen gefragt habe, ob ich ein Plakat anbringen kann, haben sie schnell ja gesagt und Geld gegeben. Banken dagegen haben immer als Erstes betont, dass das nichts kosten dürfe und dass die Werbefläche vielleicht anderweitig gebraucht würde.“ Prominentestes Gegenbeispiel: der über-jesusgroße, modewirksame Jüngling, der derzeit in klassischer Kreuzigungshaltung an St. Petri prangt.
Informationszentrum: Hauptkirche St. Petri. Plakate finden sich außerdem u.a. an St. Jacobi, am Michel, an St. Katharinen, am Kaispeicher A, am Zollamt und am Hanseatic Trade Center. Die Ausstellung ist bis zum 31. 7. zu sehen.