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Archiv-Artikel

Gespräche mit dem Götterbaum

Urbane Schnitzeljagd: Marc Pouzol und Veronique Faucheur von der Kunstgärtnerei „atelier le balto“ laden in ungewöhnliche Gärten ein. Der Sensibilisierung für die vielen Möglichkeiten der Gestaltung gilt auch eine Tagung im Hamburger Bahnhof

VON NINA APIN

Der Innenhof der Kunst-Werke in der Auguststraße hat sich über Nacht in eine Großgärtnerei verwandelt. 350 Blumentöpfe stehen ordentlich aufgereiht auf dem Beton. Menschen in Gärtnerkleidung füllen Erde aus großen Säcken ab und setzen Kapuzinerkresse hinein. Marc Pouzol zückt sein Handy. Er versucht herauszubekommen, ob es sich um Kapuzinerkresse major oder minor handelt. „Minor, die kleine Wuchsform, wäre besser“, lacht er, „sonst erschrickt der Botschafter.“

Die Kapuzinerkresse soll noch am selben Tag den Hof der französischen Botschaft zieren. Das bedeutet Knochenarbeit für die Helfer, die Pouzol und seine Büropartnerin Veronique Faucheur engagiert haben. Die Stadtplanerin und der Landschaftsarchitekt betreiben zusammen mit einem weiteren Partner das „atelier le balto“. Sie konzipieren Gartenanlagen, die mit den üblichen Blumenrabatten wenig gemein haben. „Wir begreifen unsere Pflanzen als Akteure, die mit dem Ort in Dialog treten“, sagt Veronique Faucheur. Der Nüchternheit der Architektur der französischen Botschaft antwortet so die unprätentiöse Kapuzinerkresse.

Oft sind es ungewöhnlichere Gewächse, die das „atelier le balto“ verwendet: Rhizinus, Artischockenstauden, seltene Kohlarten. Im Innenhof der Kunst-Werke ließen Pouzol und Faucheur Bohnen an langen Bambusstangen emporklettern. Der Bohnengarten fand nicht nur Anklang beim KW-Kurator, der den Gärtnern sogleich Büroräume in seinem Haus anbot. Auch die Nachbarn halfen eifrig beim Gießen und Beschneiden. Obwohl der Garten auch nachts offen ist, gab es in fünf Jahren keinen einzigen Fall von Vandalismus. „Die Stadtbevölkerung hat großen Respekt vor Gartenarbeit“, glaubt Pouzol. „Die Menschen wissen mit Schönheit durchaus umzugehen – wenn sie diese wahrnehmen.“

Wenn Marc Pouzol durch Mitte streift, bleibt sein Blick dauernd an Gärten hängen, die der ungeübte Betrachter gar nicht sieht: ein Stück Brachfläche vor einem Abbruchhaus, aus dem Klatschmohn leuchtet. Der vertikal geschichtete Strand aus Sonnenschirmen und Balkonpflanzen an einem Plattenbau. In der Linienstraße bleibt Pouzol plötzlich stehen und öffnet eine unscheinbare Gartentür. Der Boden der kleinen Parzelle ist mit sauber geharkter, dunkler Erde bedeckt. Palmenähnliche Gewächse ragen daraus gen Himmel. Am Ende des Gartens lädt eine Bierbank zum Verweilen ein: Eine Idylle, die durch minimale Eingriffe aus einer Brachfläche entstand.

„Die Götterbäume waren schon vorher da“, erklärt Pouzol. „Wir haben sie nur anders beschnitten und den Boden mit Schlacke aufgeschüttet, das gibt einen hübschen Farbkontrast.“ Wer den „Katengarten“ erst einmal entdeckt hat, dem weisen bedruckte Postkarten den Weg zu weiteren Gärten. Das Projekt „Wo ist der Garten?“ umfasst insgesamt vier bisher ungenutzte Flächen in Mitte. Eine Stunde dauert ein gemütlicher Rundgang von Garten zu Garten, eine urbane Schnitzeljagd, die Touristen und Einheimische auf ungewohnte Pfade lockt. Die Gestaltung spielt mit den historischen Gegebenheiten des jeweiligen Ortes. Die Pflanzen sollen zur individuellen Interpretation anregen. André hat das Prinzip sofort verstanden. Der Medizinstudent stolperte bei einer Vorlesungspause zufällig über das Ensemble auf dem verschlafenen Gelände der Humboldt-Uni in der Philippstraße: Aus einem rostigen Eisengatter zwischen den Fakultätsgebäuden sprießt wilde Vegetation. Knöterich rankt sich an langen Eisenstäben entlang, Holzbohlen fassen das Gatter ein wie ein Badesteg. „Insel-Garten“ steht auf der Postkarte. „Insel deshalb, weil hier kein Mensch vorbeikommt“, versucht sich André, „Garten wegen der Pflanzen, die aussehen sollen wie zufälliges Unkraut. Und das Gatter soll bestimmt an die Veterinärmedizin erinnern, die hier zu Ostzeiten war.“ Ganz schön schlau.

Marc Pouzol und Veronique Faucheur erhoffen sich viele Gartenbesucher wie André. Hinter dem vom Hauptstadtkulturfonds geförderten Projekt „Wo ist der Garten?“ steckt vor allem die Absicht, die Öffentlichkeit für Gartenkunst zu sensibilisieren. „Der Biergarten und der Schrebergarten sind hierzulande die bekanntesten Gartenformen“, glaubt der Franzose Marc Pouzol, der in Versailles Dozent für Landschaftsarchitektur ist. Mit dieser Unwissenheit soll bald Schluss sein: Am 2. Juli treffen sich deutsche und französische Gartenexperten im Hamburger Bahnhof. Temporäre Gärten sind ein Thema der Tagung.

Angesichts schrumpfender Stadtbebauung und begrenzter Fördergelder ist diese Form der Gartenkunst sicher zukunftsweisend. Auch interessierte Laien sind zur Gartentagung eingeladen. Vielleicht finden sich Freiwillige, die zusammen die vier temporären Gärten weiterbetreuen. Auch dies läge im Trend: In amerikanischen Großstädten spricht man bereits vom communal gardening als neuer Form sozialer Interaktion unter Nachbarn.

Wo ist der Garten? Bis November 2005 an folgenden Orten: Invalidenstraße 50–51 (Tafel-Garten), Linienstraße 44 (Katen-Garten), Auguststraße 21 (Buch-Garten), Philippstraße 13 (Insel-Garten). Tagung am 2. Juli 2005 im Aktionsraum des Hamburger Bahnhofs, Museum für Gegenwart, Invalidenstraße 50–51. Weitere Informationen unter www.woistdergarten.de