SVEN HANSEN ÜBER DIE NOBELPREISREDE VON AUNG SAN SUU KYI : Klug, aber zu vorsichtig
Suu Kyis Rede war staatsmännisch, konstruktiv, voll gesunder Skepsis, vorsichtigem Optimismus und beseelt vom Glauben an universelle Werte, die sie aus buddhistischer Perspektive erläuterte. Sie mahnte zu Recht, dass über ihrer Freilassung nicht die verbliebenen politischen Gefangenen in der Heimat vergessen werden dürften. Und sie erwähnte die anhaltenden Konflikte mit den ethnischen Minderheiten wie die jüngsten tödlichen Unruhen im Westbirma. Kurz zuvor hatten die Behörden die Zahl der dortigen Todesopfer der letzten Woche revidiert: 50 statt 29.
Doch wer von Suu Kyi eine klare Stellungnahme zum Konflikt im westbirmesischen Staat Rakhaing zwischen der muslimischen Minderheit der Rohingya und der dortigen Ethnie der buddhistischen Arakanesen erhofft hatte, wurde enttäuscht. In der letzten Woche hatte es in Birmas Öffentlichkeit selbst seitens einiger Demokratieaktivisten rassistische Ausfälle gegen die offiziell nicht als Minderheit anerkannten Rohingya gegeben. Von Suu Kyi waren dazu bisher nur allgemeine Appelle zur Zusammenarbeit gekommen, und sie sagte, unter rechtsstaatlichen Verhältnissen wäre der Konflikt gar nicht erst eskaliert.
Jetzt hat die Friedensnobelpreisträgerin leider die Chance nicht genutzt, dass prestigeträchtige Osloer Forum zu einem eindringlichen Appell an ihre Landsleute zu nutzen, rassistische Diskriminierung klar abzulehnen und die Rohingya endlich als vollwertige Staatsbürger anzuerkennen. Damit hätte sich Suu Kyi sowohl einige Feinde gemacht, aber auch zu einer friedlichen Konfliktlösung beitragen können.
Sie hat schon sehr viel Mut bewiesen und den Friedensnobelpreis zweifellos verdient. Doch zur Bekämpfung des gegen die Rohingya gerichteten Rassismus bedarf es nicht nur funktionierender demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen, sondern auch mutiger Worte und Taten. Wer wäre dazu in Birma besser geeignet als die Friedensnobelpreisträgerin?