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Der Wald als Wille und Vorstellung

Wortkarg kommt „Gewalten“ daher: Der Film von Constantin Hatz, im Harz und in Hamburg gedreht und in Bremen produziert, hatte am Samstag Weltpremiere auf der Berlinale

Von Wilfried Hippen

Zwei Gruppen von jungen Männern stürmen auf einer Waldlichtung aufeinander zu. Sie schlagen und treten brutal aufeinander ein und scheinen dabei das Austeilen ebenso zu genießen wie das Einstecken. Sie sind alle muskelbepackt und für das Kämpfen trainiert – nur ein schmächtiger rothaariger Junge steht in einiger Entfernung und filmt mit einer Digitalkamera die Keilerei.

Dies ist Daniel, der 14-jährige Protagonist des Films „Gewalten“ von Constantin Hatz, und er wirkt wie hineingeworfen in diese Welt der schweren männlichen Körper, in der alles mit einer dumpfen Aggressivität durchtränkt ist. Daniel lebt mit seinem älteren Bruder und seinem todkranken Vater in einem abgeschiedenen Dorf, das kaum noch Be­woh­ne­r*in­nen hat.

In dieser Welt wird wenig geredet. Das erste Wort des Films fällt erst nach 16 Minuten. Um überhaupt etwas zu spüren und wohl auch,um überhaupt bemerkt zu werden, fährt Daniel auf seinem Montainbike in den Wald und stürzt dort absichtlich so schwer, dass er ein große blutige Wunde an der Stirn hat. Auf die wird er dann auch von allen, die ihm begegnen, angesprochen. Und viermal hört man dann im Film fast wortwörtlich den gleichen aus zwei Sätzen bestehenden Dialog.

Der Wald und ein paar Haustiere sind es, die Daniel Halt und Trost geben. Einem jungen Hahn will er das Krähen beibringen und er glaubt, dass eines seiner Kaninchen Heilkräfte hat. Doch seine tägliche Erfahrung besteht darin, dass Tiere getötet werden. Rehe, Schweine und Hunde. Der Regisseur Constantin Hatz zeigt dieses Tötungen nie im Bild, und auch wenn in seinem Film Menschen einander schwer verletzen, läuft nur sein Sounddesigner zu Hochform auf.

Hatz will offensichtlich nicht die Schaulust des Publikums befriedigen, und auch sonst ist dies kein leicht konsumierbares Unterhaltungskino. Denn Hatz erzählt in langen, präzise durchkomponierten Einstellungen. So distanziert, wie Daniel seine Umwelt wahrnimmt, hat Hatz sie auch stilisiert. Einmal erzählt Daniels Vater seinem Sohn, wie endlos eine Minute für ihn sein kann. Und dann sitzen die beiden in einer Einstellung, die nur ihre Rücken zeigt, tatsächlich eine sehr lange Minute lang schweigend nebeneinander an seiner Bettkante.

Zum Teil sind die kargen Dialoge so artifiziell, dass die Charaktere dadurch fast irreal wirken. Als einen „Schmerzensmensch“ bezeichnet sich etwa Daniels Vater, dessen Wortschatz ansonsten eher reduziert bleibt. Und eine der wenigen Frauen im Film spricht fast nur in Versen.

Zwei Fremde sind es, die Daniel in dieser so statischen und gefühlskalten Welt aus seiner Apathie reißen. Im Schulbus trifft er den gleichaltrigen Karim, einen Flüchtling, der mit Mutter und einem älteren Bruder in diese Einöde geschickt wurde, und im Wald schließt er Freundschaft mit dem Außenseiter Marcel. Der lebt von illegalen Hundekämpfen und macht sich durch seinen freieren Lebensstil schnell die Clique der Dorfjugend zum Feind.

Zwei Fremde sind es, die Daniel aus der Apathie dieser gefühlskalten Welt reißen

Durch die beiden wird Daniel dazu gezwungen, aus der Rolle des Beobachters zu treten und selber Stellung zu beziehen. Und so gibt es in diesem ansonsten so radikal düsteren Film trotz allem ein wenig Hoffnung, wenn der Hahn von Daniel schließlich doch das Krähen lernt.

Constantin Hatz, der auch das Drehbuch geschrieben hat und damit 2018 für den Thomas-Strittmatter-Preis nominiert war, ist ein österreichischer Filmemacher, der in Baden Württemberg Regie studierte und dort auch sein Langfilmdebüt „Brut“ drehte. Für „Gewalten“ zog er dann noch weiter in den Norden. Der Bremer Produktionsfirma Kinescope Film gelang es, in Norddeutschland die nötigen Fördergelder einzusammeln. Und so wurde der Film schließlich bei Lüneburg, im Harz, in Hamburg und Schleswig-Holstein gedreht. Doch da es nie deutlich wird, wo und wann dieser Mikrokosmos verortet ist, würde der Film kaum anders aussehen, wenn er ganz woanders gedreht worden wäre.

Der Wald ist hier jedenfalls eher ein Bewusstseinszustand als ein realer Ort. Daniel, der von Malte Oscar Frank in seiner ersten Filmrolle mit einer feinen Balance zwischen verletzlich und stoisch gespielt wird, bleibt ein Fremder unter den Menschen und so versucht er schließlich, sich selber im Wald zu verlieren.

Gewalten“. Regie: Constantin Hatz, mit Malte Oskar Frank, Robert Kuchenbuch, Paul Wollin u. a., Deutschland 2022, 148 Minuten. Vorstellungen im Rahmen der Berlinale am Do, Sa & So

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