Bessere Stapel klingt gut

Michel Houellebecq, Philip Roth, J. M. Coetzee, Jonathan Safran Foer und viele andere große Namen mehr: Im Juli beginnt der Bücherherbst, und der diesjährige verspricht ein hochwertiger zu werden

Matthias Politycki kann mit seinem neuen Roman „Herr der Hörner“ zeigen, was „relevanter Realismus“ ist

von GERRIT BARTELS

Die Verlagsbranche, das weiß man, hält sich viel auf ihre Traditionen zugute, diese sind ein nicht zu unterschätzender Vermögenswert. Eine Tradition allerdings, die das weniger ist, die nicht mal mehr einen hohen Gebrauchswert hat, ist die Einteilung des Jahres in Bücherfrühling und Bücherherbst. Seit Jahren veröffentlicht etwa der Rowohlt Verlag seine Bücher im Vierteljahrestakt, veröffentlichen Verlage wie C. H. Beck oder Suhrkamp gezielt Titel im Januar oder Juli, und der Fischer Verlag bringt neuerdings pro Monat zwei belletristische Titel heraus.

Insofern lässt sich ganz ungeniert sagen: Im Juli, nach Bekanntgabe der Friedens- und Büchnerpreisträger sowie dem Klagenfurter Wettlesen, beginnt der Bücherherbst. Der diesjährige verspricht nun ein richtig guter zu werden. Die Verlage zeigen Muskeln und glänzen mit großen, vor allem internationalen Namen, an denen keiner vorbei kommt, außer vielleicht Elke Heidenreich.

Zu nennen wären da etwa Michel Houellebecqs neuer Roman „Die Möglichkeit einer Insel“, der Ende August erscheint und laut Verlag „eine radikale Abrechnung mit unserer heutigen Gesellschaft“ sein soll und genauso „radikal unsere Zukunft entwirft“. Das ist schönste Verlagsprogrammprosa, doch deuten diese Sätze auf Houellebecqs Topthemen hin: Individualisierungs- und Globalisierungstristesse, die Mär vom neuen Menschen und der Abschaffung des Alten, das Elend der spät- und neoliberalen Welt etc. pp. Die hat man zwar in ihrem ganzen provokanten Türeneinrennenwollen schon hinreichend diskutiert, sie werden aber erneut ihre Wirkung zumindest in den Feuilletons haben.

Ebenfalls zwei Highlights sind die neuen Romane des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee und des amerikanischen Überschriftstellers Philip Roth, der Jahr für Jahr als heißer Anwärter auf den Literaturnobelpreis gilt. Coetzees Roman „Zeitlupe“ ist sein erster seit „Schande“ und erzählt eine Liebesgeschichte, wie sie so wohl nur ein Coetzee erzählen kann: Ein Mann hat einen Fahrradunfall, verliert sein Bein und muss sein Leben radikal verändern. Er lernt eine Krankenschwester und deren Sohn kennen, die ihn auffangen, doch eine weitere Frau namens Elizabeth Costello, die Titelheldin aus Coetzees letztem Erzählband, bringt die mühsam erlangte, von philosophischen Reflexionen bestimmte Ruhe des beschädigten Romanhelden auf ein Neues durcheinander.

Philip Roth dagegen hat mit „Verschwörung gegen Amerika“ einen prononciert politisch-historischen Roman geschrieben. Aus der Sicht eines achtjährigen jüdischen Jungen aus Newark erzählt er, was aus Amerika und dem Rest der Welt geworden wäre, hätte ein den Nazis wohlgesonnener Kandidat 1940 die Präsidentschaftswahlen gegen Franklin D. Roosevelt gewonnen. Bei Roth ist dies der Fliegerheld und Nazifreund Charles Lindbergh, und Roth erzählt, wie dieser einen Nichtangriffspakt mit den Nazis schließt, wie es zu antisemitischen Ausschreitungen in den USA kommt und wie ein Riss Pro-und Contra-Lindbergh auch durch die Familie des achtjährigen Philip geht.

Die hohe Philip-Roth-Schule ist das, besser als sein letzter Roman „Ein sterbendes Tier“ und von der New York Times auch zum drittbesten Buch des Jahres 2004 gekürt. Und es stimmt: Das Leben und die Newarker Umgebung des kleinen Philip, die Roth routiniert und nicht zum ersten Mal beschreibt, vermischen sich mit der Weltgeschichte auf ungute Weise. Doch literarisch fällt „Verschwörung gegen Amerika“ an mancher Stelle etwas auseinander, etwa wenn Roth seitenweise und seltsam stumpf die Gäste einer Hochzeitsfeier oder die antisemitischen Ausschreitungen in amerikanischen Städten aufzählt.

Nicht weniger gespannt darf man auch auf die neuen Romane des US-Shooting-Stars Jonathan Safran Foer sein (von dessen Frau Nicole Krauss in diesem Herbst ebenfalls ein Roman auf Deutsch vorliegen wird); auf neue Erzählungen von Dave Eggers, auf das Memoirenbuch des englischen Schriftstellers Martin Amis, auf den 11-9-Roman von Ian McEwan, auf Romane des aktuellen Pulitzerpreisträgers Alan Hollinghurst und von Tom Wolfe, oder auf das Zweitlingswerk von Jonathan Franzen, das dieser noch vor „Korrekturen“ geschrieben hat.

Viele Schwergewichte also, gegen die sich das Aufgebot aus Deutschland fast bescheiden ausnimmt. Von Christa Wolf gibt es im Juli Erzählungen, da will der Suhrkamp Verlag gleich mal zeigen, was für ein Hochkaräter bei ihm jetzt unter Vertrag steht. Martin Walser legt erste Tagebücher vor, und da gilt seit Walsers Wechsel von Suhrkamp zu Rowohlt für den Verlag aus Reinbek: Keine Saison ohne Walserbuch. Vor allem aber erscheint pünktlich zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse Ingo Schulzes lang erwarteter zweiter Nachwenderoman „Neue Leben“, ein 800-Seiten-Epos.

Ansonsten ist eine Riege von Schriftstellern am Start, die lange dabei sind, aber noch nicht den Status eines Walsers oder einer Wolf haben: Hanns-Josef Ortheil hat mit „Die geheimen Stunden der Macht“ einen Familien- und Gesellschaftsroman geschrieben, der auch ein bisschen aus dem Innern des Literaturbetriebs erzählt; Uwe Timm berichtet von seiner Freundschaft zu Benno Ohnesorg, mit dem er das Kolleg in Braunschweig besucht hat; und Matthias Politycki kann mit seinem Roman „Herr der Hörner“ zeigen, was „relevanter Realismus“ ist. Allerdings findet sich da in der Inhaltsangabe des Verlagsprogramms keine erste Spur: „Mit drei Zehnpesoscheinen macht sich der fünfzigjährige Broder Broschkus, erfolgreicher hanseatischer Bankier, auf in den schwarzen Süden Kubas, um dort eine Frau zu suchen, in deren abgründig grünen Augen er die Erleuchtung seines Lebens erfuhr.“ Nun ja, das ist nicht mal Literatur wie Rockmusik , um ein anderes Bonmot von Politycki zu zitieren. Gelesen will der Roman trotzdem werden, schließlich war Polityckis „Weiberroman“ ja ein wirklich guter. Auch viel versprechend: Der zweite Roman der 2003er-Bachmannpreisträgerin Inka Parei, der jetzt endlich herauskommt, und vielleicht auch der neue von Ulrike Draesner, der vor dem Hintergrund der frühen Siebzigerjahre, insbesondere der Olympischen Spiele in München, die Geschichte der 13-jährigen Katja erzählt.

Zu guter Letzt gibt es auch Neues von Benjamin v. Stuckrad-Barre, „kurzfristig ins Programm genommen“, wie der Rowohlt Verlag stolz seinen Neuerwerb verkündet. Doch der Titel und die Ankündigung verheißen wenig Gutes: „Was.Wir.Wissen“ heißt das Buch, das ein Internetabfallsuchmaschinenschnipsel-Buch ist. Dieses lässt einen erneut den Wunsch hegen, Stuckrad-Barre möge sich einmal drei, vier Jahre zurückziehen und endlich einen richtigen und vielleicht guten Roman schreiben.

Bessere Wünsche klingt gut, um es mit der kollossalen Jugend zu sagen, und viele gute andere Bücher klingen noch besser. Denn das Schöne an jeder neuen Buchsaison ist ja, dass auch Bücher, von denen vorab noch keiner spricht, wirklich große Renner werden können.