: Cui bono außer Bono?
Die gute Nachricht: „Live 8“ unterstützt die armen Nationen Afrikas durch Druck auf die Industrieländer. Die bessere Nachricht: Wir dürfen das Ereignis getrost ignorieren
VON TOBIAS RAPP
Eines gleich vorweg: Es geht nicht um Geld. Wenn sich heute Nachmittag hunderttausende Musikfreunde in zehn Städten auf vier Kontinenten versammeln, um dutzende von Bands zu sehen, wenn sich hunderte Millionen Menschen vor den Fernsehern versammeln, um den Hunderttausenden dabei zuzuschauen – Geld wird bei „Live 8“ keines zusammenkommen. Das vergisst man leicht über all dem „Make Poverty History“-Tamtam, mit dem das Spektakel seit Tagen versucht, sich medial gegen die Vertrauensfrage im Bundestag, den neuen Präsidenten des Iran und die Räumungen jüdischer Siedlungen im Gaza-Streifen durchzusetzen.
„Live Aid“, die Vorgängerveranstaltung vor zwanzig Jahren, mag eine gigantische Fundraising Party gewesen sein, bei der am Ende 254,4 Millionen Dollars auf den Spendenkonten lagerten, „Live 8“ handelt in einer anderen Währung: Es geht um Aufmerksamkeit.
Um Aufmerksamkeit für das Schuldenproblem des afrikanischen Kontinents gehe es, werden Bono Vox und Sir Bob Geldorf nicht müde zu betonen. Ein Schuldenerlass müsse endlich durchgesetzt werden, Druck soll ausgeübt werden auf die Regierungschefs der G 8, die sich kommende Woche in Edinburgh treffen, in einer globalisierten Welt gehe das eben nur auf globaler Ebene. Das ist natürlich alles ganz wunderbar, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der Schuldenerlass für die ärmsten Staaten der Welt seit drei Wochen beschlossene Sache ist – so steht dem Erfolg von „Live 8“ auch nichts mehr im Weg.
Wo ist also das Problem? Gibt es überhaupt eins? In Großbritannien sind die „Live 8“-Organisatoren in scharfe Kritik geraten. Der BBC-Radio-DJ Andy Kershaw, vor zwanzig Jahren noch Geldorfs enger Mitarbeiter, hat diesem Unkenntnis des afrikanischen Kontinents und Kolonialherrenattitüde vorgeworfen, es sei vollkommen unverständlich, warum abgesehen von Yossou N’Dour kein afrikanischer Künstler bei „Live 8“ auftreten dürfe. Dass die Organisatoren reagierten und ein separates Konzert für afrikanische Musiker in Cornwall ankündigten, machte nichts besser. Das sei musikalische Apartheid, sagte Kershaw. Nun ist kurzfristig noch ein Konzert in Johannesburg anberaumt worden. Auch die britische Linke ist nicht sonderlich glücklich mit „Live 8“. Das Afrikabild von Bob Geldorf und Bono Vox sei unterkomplex und gefährlich, den ganzen Kontinent als Opfer zeichnen, gehe vorbei an den realen Widersprüchen und Problemen vor Ort.
Das ist alles richtig. Und folgt, selbst in dieser Schärfe, doch den Vorgaben der „Live 8“-Organisatoren. Denn das großartige und faszinierende, gleichzeitig aber auch beängstigend-totalitäre an dieser Art von Spektakel ist ja, dass es kein Außen hat. Jede Kritik wird sofort Teil des Systems Großspektakel, bringt noch mehr Aufmerksamkeit, noch mehr Hits, macht es noch größer. Gerade Kritik verleiht „Live 8“ genau das, was im Kern fehlt: Inhalt. Denn ein Spektakel handelt von nichts anderem als sich selbst. Von seiner Größe (die natürlich immer noch größer sein muss, als die Vorgängerveranstaltung), von seiner Fähigkeit Menschen in Bewegung zu setzen (die dafür natürlich einen Grund brauchen: Etwas Gutes zu tun, ist dabei immer gut) und von der medialen Darstellung all dessen.
Dieser Logik kann sich niemand entziehen. Die Medien nicht, sie sind schließlich direkter Teil der Aufmerksamkeitsökonomie. Man muss etwas zu „Live 8“ bringen, „Live 8“ ist ein Thema, die Leute wollen das lesen, hören, sehen. Die Musikfans nicht, denn treten nicht allein am Brandenburger Tor Brian Wilson, Roxy Music, Audioslave und Wir Sind Helden auf? Was will man denn seinen Kindern erzählen, wo man gewesen ist, als das größte Musikspektakel aller Zeiten über die weltweiten Bühnen ging? Und auch die Künstler nicht, ab einem gewissen Grad kommerziellen Erfolgs ist Sichtbarkeit schließlich ein Hauptkriterium, entlang dessen es eine Karriere zu entwickeln gilt. Zumal das Ganze ja für einen guten Zweck ist: Will sich jemand wirklich dem Verdacht aussetzen, das Wohlergehen der Dritten Welt liege ihm oder ihr nicht am Herzen?
Diese Spektakellogik ist eng verknüpft mit dem Aufstieg jenes enigmatischen Subjekts, das „globale Zivilgesellschaft“ zu nennen sich eingebürgert hat. Dieser Vielheit von Menschen, die sich darüber definiert, sich weder durch staatliche noch wirtschaftliche Institutionen repräsentiert zu fühlen, steht Bono für ein verlängertes Wochenende als Künstlerfürst vor. Durch nichts legitimiert als das kulturelle und soziale Kapital, das er in den vergangenen 25 Jahren dabei angehäuft hat, das Gefühl einer Alternative zu den anderen Mächtigen zu verkörpern, mit denen er sich nun in Davos zum Golf trifft. Als letzte darstellerische Schwundstufe des humanistischen Kerns der Popkultur.
Alles muss sich also bewegen, damit sich nichts bewegt. Die Inhaltsleere von einem Spektakel wie „Live 8“ zeigt sich in seiner schlichten Folgenlosigkeit. Wären mit „Live 8“ tatsächliche Konsequenzen verbunden, Konsequenzen jenseits der Bitte an die Mächtigen, doch nicht ganz so böse zu sein, es könnte niemals diese Dynamik entwickeln, die ihre Anziehungskraft ausmacht. So ist es Zeugnis eines in seiner Gutwilligkeit vollkommen hilflosen Willen durch Aufklärung den Lauf der Welt zu beeinflussen. Einer Aufklärung, die zugunsten gefühlter Größe jede Möglichkeit tatsächlicher Einflussnahme aus der Hand gegeben hat.
Und so ist die Weigerung mitzumachen, tatsächlich das Einzige, womit ein solches Spektakel wirklich Probleme hat, die Drohung mit dem Exodus. Daher auch der hysterische Ton, mit dem der deutsche Konzertveranstalter Marek Liebermann sich vor einigen Tagen über die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Berliner Senats beschwerte und den fehlenden Eifer der deutschen Industrie geißelte, „Live 8“ zu unterstützen.
Wobei selbst die Weigerung teilzunehmen, aus Sicht des Spektakels noch als Teil desselben gelesen werden könnte: Doch die Freiheit „Live 8“ zu ignorieren, sollte man sich durch nichts vermiesen lassen.