„Moral hilft nicht bei Erkenntnis“

Der alte Vergangenheitsbewältigungskitsch der Deutschen war immer noch besser als das Geschichtsgeraune im Fernsehen und der Hitler-Hype im Kino, meint der Professor für Visuelle Kommunikation Diedrich Diederichsen

taz: Herr Diederichsen, was sind die auffälligsten Widerwärtigkeiten der heutigen Gedenkpolitik?

Diedrich Diederichsen: Die Frage ist, wie weit man das Wort „Gedenkpolitik“ interpretiert. Aber die Trailer zu den jeweils neuen Guido-Knopp- Dokumentationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind schon kaum zu übertreffen. Wenn eine Reporterstimme aus dem Off zu Nu-Metal-Musik Schwarzweiß-Archivbilder kommentiert: „1943 – die KZs wurden noch grauenhafter.“ Besonders abstoßend sind natürlich gegenständliche Mahnmale. Auch da gibt es Abstufungen: In Berlin-Charlottenburg gibt es ein Mahnmal, das ich eigentlich immer für eine abstrakte Skulptur gehalten habe: sich kreuzende, konstruktive Modelle. Irgendwann wurde mir klar, dass es sich dabei um Leichen handeln soll. Ganz schauerlich ist natürlich gewissermaßen der Klassiker: Hrdlickas Denkmal in Wien.

Was ist daran so schlimm?

Die naturalistische Zurschaustellung von Demütigung, Folter, körperlichem Leiden als Denkmal behauptet, unmittelbares Erschrecken vor der Gewalt sei die Quelle einer geeigneten Katharsis. Dabei sind Bilder von Gewalt und Demütigung an sich ganz unspezifisch. Hinzu kommt, dass ein Denkmal als künstlerische Gattung immer in gewisser Weise Ja sagt zu dem, was es gegenständlich zeigt, Affirmation ist Bestandteil seiner künstlerischen Rhetorik. Außerdem ist ein Nein oder ein anderes simples Zeichen der Negation im Zusammenhang mit einer gestaltreichen, gegenständlichen Darstellung immer das schwächere Zeichen.

Gibt es da eine Analogie zu den Knopp-Filmen?

Die Filme markieren zunächst einmal das Geschehen als „geil“, totalen „Thrill“. Da gehört die Hintergrundmusik dazu, die Steigerung der Dynamik, der Kick.

Das Holocaust-Mahnmal ist das Gegenteil von Naturalismus. Macht es Sie glücklich?

Nein. Das wäre natürlich einfach, zu sagen: Das Gegenteil von Hrdlicka, und schon ist man glücklich. Ich würde es zwar gegen seine antimodernen konservativen Kritiker verteidigen. Das Berliner Mahnmal hat aber andere Probleme. Die liegen eher in der Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, ein neues Mahnmal zu errichten? Inwieweit werden künstlerische Mittel, die in den Bezugsräumen der Kunst funktionieren, problematisch, wenn dieser Bezugsraum fehlt? Hinzu kommt, dass die künstlerische Sprache, die beim Berliner Mahnmal zum Einsatz kommt, mittlerweile auch schon wieder fast ein Jargon ist. Der Minimalismus als zunächst asemantische künstlerische Sprache erhält durch den Kontext den klaren Sinn, dass er von einem „nicht benennbaren Schrecken“ spricht. Aber die eigentlichen Probleme liegen ohnehin anderswo. Die Frage ist: Wer redet da? Wer erinnert sich da woran?

Die Deutschen erinnern sich ihrer Opfer und sind ganz stolz darauf, dass sie so toll geläutert sind? Ist das das Problem?

Sie machen sich doch gar nicht klar, dass das ihre Opfer sind. Sie erinnern sich an „eine Menschheitskatastrophe“. Aber dass sie als Deutsche keineswegs zur Gemeinschaft der Opfer gehören, wird in keiner Weise klargemacht. Währenddessen wird auf anderen Ebenen sogar ganz stark versucht, auch die Deutschen zu Opfern des Krieges zu stilisieren. Beim Volksmund kommt das dann so an: „Ein schrecklicher Krieg. Möglicherweise hat’s die Juden noch ein bisschen schlimmer erwischt als uns.“ Es wäre vielleicht besser, wenn das Mahnmal nicht zugänglich wäre. Am besten, man würde Stacheldraht herum machen. Dann wäre es sogar ganz gut.

Sie schreiben, es wurde ein „zeitweiliger, nie selbstverständlicher fragiler“ Konsens in Deutschland erreicht. Worin besteht er?

Leute wie Bernd Eichinger, der Produzent des „Untergangs“, werfen diesem Konsens seine „Moral“ vor. Aber dieser Konsens war schon aus anderen Gründen fragwürdig. In ihm eingeschlossen war nämlich immer auch: Wir sind in Sachen Selbstbearbeitung und Vergangenheitsbewältigung die Weltbesten. In ihm war auch dieser falsche Stolz des Mitleidens enthalten, der Glaube, durch Identifikation mit den Opfern ihren moralischen Status zu erhalten. Und man kann auch sagen, dass Moral nicht sehr hilfreich ist – im Sinne von Erkenntnis nämlich. Aber dieser Konsens hat wenigstens Verhaltensweisen ausgeschlossen, die heute wieder möglich sind: dass im „Untergang“ die Hitler-Sekretärin und der Hitler-Junge fröhlich beschwingt auf dem Fahrrad aus Berlin wegfahren und ihr Überleben sie zu den Helden der Zukunft macht. Falsche Opfer-Identifikation ist immer noch besser als lebensfrohe Überlebende. Der alte Vergangenheitsbewältigungskitsch hatte sicher seine Peinlichkeiten, aber es wurde wenigstens noch klar unterschieden, was sind Opfer, was sind Täter. INTERVIEW: ROBERT MISIK