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dvdeskKomplizierte Wahrheiten

Fremd ist Bill (Matt Damon) in Marseille, fremder kann man kaum sein. Eigentlich lebt er in Stillwater, einem Kaff in Oklahoma, arbeitet bei Ölbaufirmen und auf dem Bau. So führt ihn der Film ein, nimmt sich, wie überhaupt, Zeit, man sieht das schlichte Kreuz an der Wand, man sieht Bill, wie er betet. Und dann bricht er auf, wird zum fish out of water, landet und checkt ein im Hotel in Marseille. Nach und nach erst versteht man, was ihn aus großer Ferne nach Frankreich geführt hat.

Seine Tochter Allison (Abigail Breslin) ist zum Studium hierher geraten. So weit weg wie möglich wollte sie sein, fern von Oklahoma, fern von ihrem toxischen Vater, der trank, der immer wieder Scheiße gebaut hat, auf den kein Verlass war. In Marseille hat sie sich in eine arabischstämmige Französin verliebt, die sie betrog. Dann wird die Freundin, Lina, tot aufgefunden, Allison ist die einzige Verdächtige und kommt für neun Jahre in den Knast. Das ist die Vorgeschichte von Allison und Bill. Sie sagt, dass sie unschuldig ist, und er hat ihr geglaubt. Nun besucht er sie, nicht zum ersten Mal, in Marseille im Gefängnis.

Bill, wie Matt Damon ihn spielt, ist ein verschlossener Mann. Massiv von Statur, fragil im Gemüt, vom Leben gebeutelt, aber so, dass er sich einen nicht geringen Teil der Schuld selbst geben muss. Keiner, der viel reflektiert, aber auch keiner, das zeigt sich, der alles an sich abprallen lässt. „Er ist ein Versager“, sagt seine Tochter später über ihn, „und ich muss es wissen“, sagt sie noch, „denn ich bin genauso“. Bei einem neuen Versuch, ihre Unschuld zu belegen, soll Bill sie nun unterstützen. Über zwei Ecken hat sie von einem jungen Mann gehört, der der Täter sein könnte, Akim heißt er, er lebt in Kalliste, einem von Ausschluss und Armut geprägten Viertel von Marseille.

Das kann nicht gut gehen

Als Fremder in der Fremde dringt Bill in diese Fremde ein. Das kann nicht gut gehen, und geht dann am Ende etwas anders nicht gut, als man anfangs denkt. Das Drehbuch – nach einem realen Fall – ist klug konstruiert. Ja, konstruiert, keine Frage, es sind vier Autoren verzeichnet, zwei US-Amerikaner, zwei Franzosen (darunter Thomas Bidégain, einer der Ko-Autoren von Jacques Audiards „Un prophète“), aber alle haben sich etwas gedacht. Und Regisseur Tom McCarthy gibt dem Buch, seinen Gedanken und Bewegungen, viel Luft zum Atmen, das ist sein ästhetisches (und durchaus auch ethisches) Programm.

Schon im Hotel hat Bill zufällig die kleine Maya und ihre Mutter Virginie (Camille Cottin) kennengelernt. Nun hilft sie ihm, übersetzt, bietet ihm Wohnung, es kommt eines zum andern. Virginie ist Schauspielerin, am Theater, ziemliche Avantgarde. Fremder als das kann es für Bill kaum mehr werden. Und doch nähert er sich, öffnet sich, auf seine verschlossene Art, nimmt es hin, wenn ihn das Theater-Milieu exotisiert als Wesen aus einer anderen Welt. Ob er Trump gewählt hat, fragen sie ihn. Nein, sagt er. Weil er in Haft war, hat er sein Wahlrecht verwirkt.

Weil die Anwältin sich nicht engagiert, nimmt er die Sache der Tochter selbst in die Hand. Man kann einen wie Bill aus Stillwater holen, aber Stillwater nicht aus ihm. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Es sind kompliziertere Wahrheiten, auf die Tom McCarthy mit seinem Film hinauswill. Schön ist, wie er nahe an der Typisierung agiert, das betrifft den bärtigen Basecap-Bill wie den Knäuelfrisur-Avantgarde-Regisseur, der die Typen, Bill vorneweg, in Situationen entlässt, in denen sie etwas mehr werden dürfen als Vertreter einer These, einer sozialen Schicht und einer politischen Richtung. Die Kunst von Tom McCarthy ist, mit allen Begrenzungen, eine emphatisch realistische Kunst. Ekkehard Knörer

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