: Schröder sucht neue Legitimation
Gerhard Schröder hat gestern den Abgeordneten des Bundestages die Vertrauensfrage gestellt. Wir dokumentieren die Rede des Bundeskanzlers vor der Abstimmung in Auszügen:
„Der für meine Partei – und für mich selber – bittere Ausgang der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war das letzte Glied in einer Kette zum Teil empfindlicher und schmerzlicher Wahlniederlagen. In der Folge dessen wurde deutlich, dass es die sichtbar gewordenen Kräfteverhältnisse ohne eine neue Legitimation durch den Souverän, das deutsche Volk, nicht erlauben, meine Politik erfolgreich fortzusetzen. (…)
Die ‚Agenda 2010‘ mit ihren Konsequenzen schien zum wiederholten Male ursächlich für ein Votum der Wählerinnen und Wähler gegen meine Partei. Wenn diese Agenda fortgesetzt und weiterentwickelt werden soll – und das muss sie –, ist eine Legitimation durch Wahlen unverzichtbar. (…)
Keine Frage: Das Reformprogramm der ‚Agenda 2010‘ hat zu Streit zwischen den Parteien und in den Parteien geführt. In den regierenden Parteien und Fraktionen ist es zu inneren Spannungen und auch zu Konflikten um die richtige Richtung gekommen. Und, das will ich nicht verschweigen, meine Partei hat darunter besonders gelitten. Die SPD hat seit dem Beschluss der ‚Agenda 2010‘ bei allen Landtagswahlen und der Europawahl Stimmen verloren – in vielen Fällen sogar die Regierungsbeteiligung in den Ländern. Das war ein hoher Preis für die Durchsetzung der Reformen. (…)
Diese Debatte hat so weit geführt, dass SPD-Mitglieder damit drohten, sich einer rückwärts gewandten, linkspopulistischen Partei anzuschließen, die vor Fremdenfeindlichkeit nicht zurückschreckt. Einige haben diesen Schritt vollzogen, an die Spitze jener Partei hat sich ein ehemaliger SPD-Vorsitzender gestellt. (…)
Eine Bewertung der politischen Kräfteverhältnisse vor und nach der Entscheidung, Neuwahlen anzustreben, muss – dessen bin ich ganz sicher – dazu führen, dass ich unter den aktuellen Bedingungen nicht auf das notwendige, auf stetiges Vertrauen im Sinne des Artikels 68 rechnen kann. (…)
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Weg mit dem Sinn und den Bestimmungen unserer Verfassung im Einklang ist. Ich bin davon überzeugt, dass der Herr Bundespräsident die richtige Entscheidung treffen wird. (…)
Vordergründig betrachtet handelt es sich um einen Vorgang, mit dem der Bundeskanzler sein eigenes Schicksal der Entscheidung des Volkes anvertraut. Die wahre Dimension unserer heutigen Entscheidung weist aber weit darüber hinaus: Tatsächlich geht es um die Möglichkeit des demokratischen Souveräns, die Grundrichtung der künftigen Politik selbst zu bestimmen. (…)
[Über Rot-Grün, Anm. d. Red.]: Es sind – und ich bin stolz darauf – gute Jahre für unser Land gewesen, die unser Land nach innen liberaler, toleranter, sicherer und demokratischer und nach außen selbstbewusster, freier und geachteter gemacht haben. Wir brauchen jetzt klare Verhältnisse. Darum stelle ich die Vertrauensfrage.“ RTR