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Archiv-Artikel

Unreflektierter Konsumentenblick

Das 24. NRW Theatertreffen ist zu Ende. Viele sahen die besten Inszenierungen im Land. Kunst diskutieren wollte niemand

AUS DORTMUNDPETER ORTMANN

„Nicht alles am Theater ist Kunst“. Vielleicht fünf Prozent seien es, aber das sei bereits viel. Das sagte Thomas Oberender, der ehemalige Chef-Dramaturg des Bochumer Schauspielhauses beim 24. NRW Theatertreffen in Dortmund. Er war immerhin Teil der Theatermaschinerie, die der renommierten Bühne mit viel Marketingaufwand wieder zu hohen Besucherzahlen verhalf. Oberender formulierte seine provokanten Thesen während der Podiumsdiskussion „Kunst bewegt“ im kleinen Theatercafé – vor 15 Zuhörern, die auch nicht einmal am Kunstdisput teilhaben durften.

„Wir wollen hier nur mal die Gedanken lockern“, sagte Theatermann Dietmar N. Schmidt, der bis 2004 noch das NRW Kulturbüro in Wuppertal leitete, in dem alle Städte des Landes mit eigenem Theater vertreten sind. „Kunst ist, was wir zeigen,“, sagte Sabine Fehlemann, die das Von der Heydt-Museum in der Stadt mit der Schwebebahn leitet. Damit wolle man die Kunst dem Publikum „beibringen“. So einfach kann eine theoretische Debatte sein. Die Museumsdirektorin mochte lieber Werbung für ihre neue Präsentation von Kunstwerken machen, als über deren Stellenwert zu diskutieren. Michael Gruner, Theaterchef in Dortmund und Leiter des diesjährigen Theatertreffens verbarg seinen Kopf hinter dem Mineralwasser. Ihm seien die Präsentationsformen egal. Er wolle lieber die „Provokation des Zeitgeistes“, der nur noch glänzende Form ohne wirkliche Inhalte sei. „Kunst ist der Sand im Räderwerk der Gesellschaft“, sagte Gruner. Die Menschen funktionierten nur noch darin. Das sei eine miese Selbstverständlichkeit: „Bezeichnenderweise sind heute zur Podiumsdiskussion auch nicht so viele gekommen“

Das „spiel. auf zeit“, so das Motto des Treffens am Dortmunder Theater bewegte mit rund 80 Prozent Auslastung mehr Menschen. Sieben Bühnen des Landes kämpften bei Jury und Publikum um den Preis der besten Inszenierung. Wer ihn bekommt und damit Ausrichter des Treffens im nächsten Jahr wird, beriet die Jury – auch um Dietmar N. Schmidt – erst spät in der Nacht, nach der letzten Aufführung. Dann erfolgte auch die Auszählung des Besuchervotums – zu spät für die taz NRW.

Dortmund als Gewinner des letztjährigen Preises für die beste Inszenierung („Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust, dramatisiert von Harold Pinter und Di Trevis in der Regie von Hermann Schmidt-Rahmer) richtete das Festival aus, nahm aber am repräsentativen Querschnitt der neuen Theater-Tendenzen in NRW nicht teil. Den Auftakt machte die medizinische Tragikfarce „Nacht“ des polnischen Autors Andrzej Stasiuk. Inszeniert hat die Auftragsarbeit des Düsseldorfer Schauspielhauses Mikolaj Grabowski aus Krakau. „Wir zeigen die Geschichte gleichzeitig in polnischen und deutschen Klischeebildern“. Grabowski konnte sich das Lachen beim Publikumsgespräch über das Stück, in dem das Herz eines polnischen Autodiebs in den Beklauten eingepflanzt wird, der ihn selbst erschossen hat, nicht verkneifen.

Das Theater in Bonn schickte Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“ ins Rennen. Thirza Bruncken inszenierte die Geschichte der Meerjungfrau, die sich in einen Fjord und in die Ehe verirrt und nicht wieder in die Freiheit findet. Vom kleinen Schlosstheater Moers kam ein aktualisierter Hamlet, den Intendant Ulrich Greb als Polit-Triller inszenierte – und mit einer allgegenwärtiger Überwachungskamera. Zum Abschluss war noch Else Lasker-Schülers erstes Theaterstück „Die Wupper“ zu sehen, dass im Tal zwischen den Arbeiterwohnungen und der Villa der Fabrikantenfamilie Sonntag spielt und der Theatertreffen-Jury eine lange Nacht bescherte. Gut drei Stunden dauerte die Inszenierung von Thorsten Pitoll an den Wuppertaler Bühnen. Eine Zusammenarbeit mit den SchauspielschülerInnen der Essener Folkwang-Hochschule.

„Wir sind Analytiker ohne Begrifflichkeit.“ Thomas Oberender versuchte bei der Podiumsdiskussion die Flamme des Disputs am Leben zu erhalten, die Moderator Schmidt längst auspusten wollte. „Wir machen hier auf dem Podium den Versuch, ernsthafter als sonst zu sein“, würgte der gerade eine Frage aus dem Publikum ab. Intendant Gruner schüttelte verständnislos seinen Kopf. Er wolle bei der Frage, wie Kunst bewegt, wenigstens einen Schritt weiterkommen. „Vielleicht durch den Wiedererkennungseffekt“, sagte Museumschefin Fehlemann, wenn man die alten Meister öfter in unterschiedlichen Zusammenhängen sehe. Doch Theaterleute redeten immer nur über Theater, so Schmidt. „Die Zeit der großen Erzählungen bei den Theaterautoren ist vorbei“, sagte Oberender. Kunst bewegt also doch nur die Dame, die allen Streitern auf dem Podium anschließend eine rote Rose überreichte?

Kunst muss bewegen – in allen bildenden Sparten und kunsthistorischen Schubladen. Dafür hilft es nicht, nur die Gedanken zu lockern. Was wirklich bewegt, erfordert manchmal auch direkte Auseinandersetzung. „Die Form ist bereits der Inhalt“, sagt Gruner.