: Es gibt keinen Gott da oben
Die Ausstellung „Boga njet!“ in der Kreuzberger Thomaskirche zeigt antireligiöse Plakate aus der Sowjetunion
Von Robert Mießner
Ein 1975 in der Sowjetunion erschienenes Plakat zeigt einen Kosmonauten. Um ihn herum leuchten Sterne unterschiedlicher Farbe und Größe; er trägt einen roten Raumanzug mit der Abkürzung CCCP für das Vaterland. Mit dem Mutterschiff ist er wie durch eine Nabelschnur verbunden. Unter ihm versinken Gotteshäuser ins Nichts. „Boga njet!“, grüßt der Raumfahrer lächelnd aus dem Bild: „Es gibt keinen Gott.“ Das Plakat kombiniert in der Figur des Kosmonauten zum einen Juri Gagarin, 1963 der erste Mensch im Weltall, und zum anderen Alexei Leonow, 1965 der erste Mensch, der sein Raumschiff verließ. Zwölf Minuten lang schwebte Leonow an einer 4,5 Meter langen Sicherheitsleine im All, sein Debüt hätte er beinahe mit dem Leben bezahlt.
Das zum zehnten Jubiläum des Ausflugs von dem Künstler Wladimir Menschikow konzipierte Poster ist jetzt Anfang und Titelgeber einer Ausstellung von insgesamt dreißig antireligiösen und antiklerikalen Plakaten aus der Sowjetunion. Eröffnet wurde „Boga njet!“ am Sonnabend in der Kreuzberger Thomaskirche, zur Zeit ihrer Erbauung im 19. Jahrhundert der größte Sakralbau Berlins und immer noch imposant; die Ortswahl entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wie auch, dass die Gastgeberin Teil eines sakralen Dreiecks in der Nachbarschaft ist, welches aus der Thomas, der Sankt-Michael- und der Annenkirche besteht.
„Boga njet!“ ist das Ergebnis einer Kooperation zwischen dem Berliner Institut für vergleichende Staat-Kirche-Forschung und dem Religionswissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig, wo die Ausstellung ursprünglich 2020 im Augusteum gezeigt werden sollte, wie ihr Kurator Horst Junginger auf dem Begrüßungsrundgang erzählte. Die Plakate sind Leihgaben des Staatlichen Museums für Religionsgeschichte in Sankt Petersburg, dem ehemaligen Museum für die Geschichte der Religion und des Atheismus. Die kleine Verschiebung im Namen ist schon eine Geschichte für sich.
Nicht wenige der frühen Plakate der Zwanziger- und Dreißigerjahre geben sich militant, wie es die Sowjetmacht auch war. Die Russisch-Orthodoxe Kirche stand in der Oktoberrevolution und im Bürgerkrieg auf der Seite der alten Ordnung. Dabei gab es in Russland sehr wohl eine Tradition des christlichen Anarchismus, davon ist auf den Plakaten aber nichts zu sehen. Zur jungen Sowjetunion gehörte auch ein Verein wie der 1925 gegründete Verband der Gottlosen, der aus der Gesellschaft der Freunde der Zeitung „Besboschnik“ hervorgegangen war. Er ist mit einem Plakat vertreten, das neben dem institutionalisierten Christentum die anderen monotheistischen und paganen Religionen angeht. Als Gestalter fungierte der Plakatkünstler Dmitri Orlow, der sich den Künstlernamen Dmitri Moor nach Friedrich Schillers Räuber-Rebellen Karl Moor gab. Von Orlow stammt eines der interessantesten Exponate: „Der Reigen“, welcher die Religionskritik bis auf die Naturvergötterung ausdehnt und, nicht ohne Hintersinn, Jesus Hand in Hand mit dem Teufel präsentiert.
Was nun den kosmischen Atheismusbeweis anbelangt: Dazu ließe sich eine Anekdote anfügen. Sie findet sich bei Heiner Müller; im Gespräch mit der Dramaturgin Ute Scharfenberg erzählt der Dramatiker, der zur Vernunftgläubigkeit der Linken einiges zu sagen hatte: „Übrigens eine schöne Geschichte, ich hab’ den Namen des Autors vergessen, ein Science-Fiction-Autor: Der beschreibt eine Szene im Weltraum, wo ein Raumschiff nach langer Irrfahrt ein riesiges Skelett entdeckt, das ist vierzig Kilometer lang, dieses Skelett, und zwanzig Kilometer breit – und das ist Gott. Das ist der endgültige Beweis, dass Gott tot ist. So blöd das ist, aber ich finde es eine gute Geschichte.“ Robert Mießner
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