: S(ch)ichtwechsel #2
Was bedeuten Klima und Klasse in der Hauptstadt von Niger? Eine Szene aus Niamey
Emmanuel Noglo, Jahrgang 1974, ist taz-lab-Redakteur. Er ist in Togo als Sohn eines Soldaten und einer Lehrerin groß geworden.
Von den Temperaturen in Niamey, der Hauptstadt in Niger, wo ich mich momentan befinde, kann man in Deutschland zurzeit nur träumen. Es sind 28 Grad im Schatten. „Klima und Klasse“, das Thema des diesjährigen taz lab, ist für mich doppeldeutig: Nach 15 Jahren in Deutschland mit seinen Reizen des Konsums und mehr als 33 Jahren in Westafrika mit seinem Willen an Träumen festzuhalten. Letzte Woche ist mir wieder die zweite Deutung begegnet: „Bube, der Öko-Unternehmer“ von Niamey.
Mit seinen 29 Jahren hat „Bube Ibrahim“ bereits zwei Frauen und drei Kinder. Die Amtssprache, Französisch, kann er nicht. Zwar beherrscht er Djerma und Haussa, Sprachen, die vom größten Teil der nigrischen Bevölkerung gesprochen werden, die ihm aber nicht den sozialen Aufstieg garantieren. Doch „Bube“ hat sein eigenes Müllabfuhr-Unternehmen gegründet. Er führt den Müll mit einem Esel und einer Karre ab.
Der Name seiner Firma „Poubellier“ (auf Deutsch: Müllwerker) wurde ihr von seinen Kund*innen gegeben. „Bube“ hat einen Angestellten, bedient etwa 20 Haushalte in Niamey und sollte eigentlich pro Haushalt umgerechnet drei Euro monatlich verdienen. Er wird aber nicht regelmäßig bezahlt. Seine Firma ist nirgendwo registriert. Die einzige Möglichkeit, sich zu wehren, wenn die Kund*innen nicht zahlen, ist es, sie mit ihren Müllcontainern stehen zu lassen.
Der abgeholte Müll landet oft auf einem frei stehenden Grundstück in der Stadt. Der Müll verschwindet nur aus den Augen der Kund*innen, die in der Regel aus der wohlhabenden Minderheit bestehen und die in den Supermärkten westliche Produkte kaufen können. Ein gut funktionierendes Abfall-Recycling-System gibt es nicht.
„Bube“ steht neben seinem Esel und träumt vor sich hin. Er will reich werden. Seine Frauen dürfen aus kulturellen Gründen nicht arbeiten. Seine Kinder gehen in die „Koranschule“. Er wohnt mit ihnen in einer Hütte, die er auf ein wieder frei gewordenes Grundstück gebaut hat. Er ist es gewohnt, von einem freien Grundstück zum nächsten zu ziehen, wenn der Besitzer zurückkommt.
In diesem sozialen Chaos gefangen, tut „Bube“ etwas Sinnvolles: er betreibt seine Öko-Müllabfuhrfirma und hängt an seinem Traum, reich zu werden, bis ihm das soziale Netz die Hand reicht. Emmanuel Noglo
Hier schreiben unsere Autor*innen wöchentlich über Klima und Klasse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen