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Archiv-Artikel

Liebling Wannsee

EXPERIMENTALMUSIK Das Label m=minimal verdankt sich einem Mäzen. Sein Programm vereint Krautrock, Elektronik und klassische Avantgarde unter einem Dach. Morgen stellt ihr Künstler Nicholas Desamory sein House-Album „Like You“ im WestGermany vor

Dass Musiker über eine Kanzlei an einen Finanzier geraten, ist eher die Ausnahme

Mit Anwaltskanzleien haben Musiklabel auch gelegentlich zu tun. In der Regel geht es um Vertragsdetails und Urheberrechtsfragen. Dass Musikproduzenten aber über eine Kanzlei an ein Studio und einen Finanzier geraten, ist eher die Ausnahme. Eben das widerfuhr Christian Borngräber und Jens Strüver, die vor geraumer Zeit gemeinsam beim Berliner Vertrieb Ninetynine Records arbeiteten. Wenig später begannen sie auch, zusammen Musik zu machen. Borngräber übersetzte nebenbei für das Büro des Anwalts Wolfgang Schirp. Dem wiederum ein Tonstudio in Wannsee gehörte. Eines Tages erhielt der gelernte Tontechniker Borngräber das Angebot, Schirps Studio zu übernehmen. Zudem war der Jurist offen für Borngräbers und Strüvers Idee zu einem Label für Minimalismus aller Art und bot den beiden finanzielle Unterstützung an. Außerdem übernahm er selbst die Geschäftsführung von m=minimal. Jens Strüver kann sich über die Zusammenarbeit nur freuen: „Da hatten wir echt Glück. Muss man auch mal haben.“

Der Freidenker

Einer der zentralen Künstler im Programm von m=minimal ist der Elektronik-Freidenker Conrad Schnitzler. Zu dem im vergangenen Jahr verstorbenen Krautrock-Wegbereiter und kompromisslosen Experimentator hatten Borngräber und Strüver noch zu Lebzeiten Kontakt aufgenommen und ihn von ihrem Label überzeugen können. Und so begannen sie ihre Arbeit als Label mit einer Wiederveröffentlichung. Als 2010 Schnitzlers „Zug“ aus dem Jahr 1973 bei m=minimal erschien, waren bei keinem anderen deutschen Label Veröffentlichungen des Musikers lieferbar: Schnitzler hatte jahrzehntelang nur im Selbstverlag publiziert. Obwohl einem breiteren Publikum kaum geläufig, genießt Schnitzlers Werk unter Kollegen hohes Ansehen.

Die Zusammenarbeit verlief so gut, dass Schnitzler seinen Backkatalog und die unveröffentlichten Aufnahmen – allein 700 Bänder stellte er für sein „Tausenderprojekt“ mit 1.000 geplanten Musikkassetten fertig – am Ende Borngräber und Strüver überließ: „Irgendwann kam dann von ihm eine E-Mail, wenn er mal nicht mehr sei, würde seine Musik bei uns in guten Händen sein“, erinnert sich Strüver. Im Frühling erschien „Endtime“, das letzte, wenige Tage vor seinem Tod eingespielte Album Schnitzlers.

Erster Minimalist

Das Spektrum von m=minimal ist trotz der Beschränkung auf Minimales ungewöhnlich breit: So gibt es neben reduzierter Elektronik, auch Platten von Improvisationsmusikern oder von klassisch ausgebildeten Avantgardisten wie Ernstalbrecht Stiebler, „dem ersten Minimalisten Deutschlands“, wie Strüver betont. Er ist in Deutschland immer noch zu entdecken, dank der Veröffentlichung auf m=minimal wird Stiebler aber inzwischen von internationalen Musikmagazinen wie The Wire aus England wahrgenommen. Doch damit ist das Spektrum des Labels lange nicht erschöpft.

Krautrockiges steuern die Betreiber mit ihren eigenen Projekten Borngräber & Strüver und Kreuzberg bei, für Pop-Spielarten des Spartanischen ging vor Kurzem das Sublabel m=maximal an den Start. Poppig und zugleich minimal ist auch das House-Album „Like You“ des Cellisten und früheren Echtzeitmusikers Nicholas Bussmann alias Nicholas Desamory. Morgen stellt er seinen idiosynkratischen House-Entwurf im WestGermany vor.

TIM CASPAR BOEHME

■ Nicholas Desamory: „Like You“ (m=minimal/Kompakt), live: morgen, 22 Uhr, WestGermany