Die Welt streitet um Afrika

VON DOMINIC JOHNSON

Der Forderungskatalog für Afrika steht: Verdoppelung der Entwicklungshilfe, kompletter Schuldenerlass, Abbau der Handelsschranken. Dies war die Botschaft der Live-8-Konzerte am Samstag an den übermorgen beginnenden Gipfel der sieben größten Industrienationen plus Russland (G 8) im schottischen Gleneagles. Dies sind auch die wichtigsten Ziele des Gastgebers Großbritannien, wie sie die Commission for Africa des britischen Premiers Tony Blair aufgeschrieben hat. Aber keines dieser Ziele ist konsensfähig. Gastgeber Blair und sein Finanzminister Brown können in Edinburgh jeden Demonstranten gebrauchen, um den Druck auf die anderen Länder zu erhöhen.

Beim Thema Schulden ist keine weitere Bewegung zu erwarten jenseits der Vereinbarung, die die G-8-Finanzminister vor zwei Wochen getroffen haben. 18 der ärmsten Länder der Welt, 14 davon in Afrika, bekamen ihre Gesamtschuld von 40 Milliarden Dollar erlassen, 9 weitere kommen noch dazu. Die Einigung bedeutet eine Beschleunigung des bestehenden Programms HIPC (Highly Indebted Poor Countries), das Schuldnerländer verpflichtet, ihre eingesparten Schuldendienstgelder in Programme zur Armutsbekämpfung zu stecken.

Weitergehende Forderungen nach einer Ausdehnung des Schuldenerlasses auf ganz Afrika wird der G-8-Gipfel nicht beschließen. Es gibt nur Einzelverhandlungen: So vereinbarte Afrikas größter Schuldner Nigeria (Auslandsschuld: 35 Milliarden Dollar, viel davon von korrupten Diktatoren geklaut) letzte Woche mit dem Pariser Club seiner reichen Gläubiger eine Schuldenreduzierung im Wert von 18 Milliarden Dollar. Das mache pro Jahr eine Milliarde Dollar für Armutsbekämpfung frei, freute sich Nigerias Regierung.

Der jetzt beschlossene Schuldenerlass bringt nach Berechnungen des Hilfswerks Oxfam den betroffenen Ländern nur etwa ein Viertel der Summen, die sie brauchen, um gemäß den Millenniumszielen der UNO bis 2015 ihre Armut zu halbieren. Die zum Nachdenken über diese Ziele eingerichtete UN-Millenniumskommission hat errechnet: Ghana bräuchte dafür ausländische Hilfe von 49,1 Milliarden Dollar, Tansania 60,2 Milliarden – mit Gesundheitswesen, Bildung und Straßenbau als den größten Posten. Nötig sei die Verdoppelung der internationalen Afrika-Hilfen von 25 auf 50 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2010, Verdreifachung auf 75 Milliarden bis 2015, fordert Blairs Commission for Africa.

Das Thema Entwicklungshilfe droht allerdings in Gleneagles in Kakophonie unterzugehen. Jeder Gipfelteilnehmer betont seine eigene Großzügigkeit. Die USA und Japan haben eine Verdoppelung ihrer Hilfen bis 2010 beschlossen, Kanada bis 2008. Die Europäische Union will ihre Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts steigern (derzeit sind für 2006 0,36 Prozent geplant). Aber koordiniert ist das nicht, und bei Zusagen zu Finanzierung und Verwendung höherer Hilfen besteht keine Einigkeit.

Die USA wollen ihr Geld nach eigenem Gusto auf befreundete Länder konzentrieren. Als Grund nennen sie Skepsis gegenüber korrupten Herrschern in Afrika – zugleich aber wird Angola als eines der ersten Zielländer genannt, das wegen Verschwindens von Öleinnahmen in Milliardenhöhe in der Kritik der Hilfswerke steht. Die US-Gelder sollen nun allein in bestimmte Programme wie Malariabekämpfung und Frauenförderung fließen.

Das ist aber noch fortschrittlich, gemessen an der Position Deutschlands, das sich mit teils demagogischen, teils bürokratischen Argumenten gegen die britische Position insgesamt stellt. Die massiven Hilfen für Ostdeutschland, jährlich so hoch wie das Bruttosozialprodukt Südafrikas, hätten auch nichts „über Nacht“ verändert, erklärte Deutschlands Afrika-Sonderbeauftragte Uschi Eid letzte Woche in Berlin und verstieg sich zu der Behauptung, es gehe beim Gipfel um die Verdoppelung der Entwicklungshilfe innerhalb eines Jahres. „Wir können doch von afrikanischen Staaten nicht erwarten, dass sie innerhalb von zehn Jahren Reformen durchführen“, meinte die Grünenpolitikerin. Es seien „Kapazitäten und Fachkräfte“ nötig: „Wenn man Straßen baut, braucht man auch Straßenbauämter.“

Am Wochenende ließ sich ein deutscher Kanzlerberater damit zitieren, man werde „nicht mitmachen“ bei britischen Plänen, über eine so genannte International Finance Facility (IFF) günstige Kredite für arme Länder mit höheren Entwicklungshilfezusagen als Garantie lockerzumachen. Grund: Daran verdienten doch nur britische Banken.

Die IFF, ursprünglich von Finanzminister Brown als großer Wurf lanciert, ist in den G-8-Vorverhandlungen bereits auf eine „Mini-IFF“ zur Finanzierung von Impfungen in Afrika und zur Malariabekämpfung geschrumpft. Sie soll nach dem Willen Großbritanniens über eine Flugticketabgabe finanziert werden. Die EU ist dafür. Doch andere Länder nicht. Jetzt ist eine freiwillige Abgabe im Gespräch, was für Chaos und Planungsunsicherheit sorgen dürfte.

Bleibt das Thema Handel, das nach Meinung von Experten Afrika mehr Geld bringen würde als Schuldenerlass und Entwicklungshilfe zusammen. Hier sind aber auch die Eigeninteressen der G-8-Länder – vor allem bei Agrarsubventionen – am größten. Mehr als eine folgenlose Absichtserklärung zur Handelsliberalisierung ist beim Gipfel nicht zu erwarten. Die britische Regierung spricht von einer „Zusage, einen Zeitplan für die Beseitigung aller den Handel verzerrenden Agrarexportsubventionen festzulegen“. Der Rest ist Sache der Welthandelsorganisation WTO.

Im Vorgriff darauf, dass aus der großen Afrika-Initiative wenig werden dürfte, sucht die britische Regierung bereits nach Ausweichmöglichkeiten. Ein kurzfristig anberaumtes Treffen namens „Business Action for Africa“ morgen und übermorgen in London soll die Lobbyarbeit Afrika-interessierter Unternehmen bei renitenten Regierungen stärken. Sondiert wird auch, ob die Afrika-Blockaden der G 8 wenigstens gegen Durchbrüche bei anderen kontroversen Gipfelthemen eingehandelt werden könnte – wie Klimawandel.