: Keine Katastrophe
ISLAND Ein Inselstaat, der fast Bankrott machte. Wie geht das Leben dort weiter? Antworten des Schriftstellers Kristof Magnusson
VON JAN FEDDERSEN
Neulich habe er von einem der wichtigsten Verlagsleute in Reykjavík gehört, dass das Buchgeschäft gar nicht mal schlecht laufe. Die Leute lesen mehr, sie widmen sich Lektüren, widmen sich jedenfalls mehr dem Zuhausebleiben als dem Draußensein. Und was kaufen sie? Keine Reiseführer für Paris oder New York, sondern – für Island.
Kristof Magnusson wohnt in Berlin, er hat isländische Wurzeln. Bekannt wurde er als Schriftsteller lakonischer, schöner, irgendwie gut gelaunter Geschichten, wohl und gern beachtet vor allem sein Roman „Zuhause“, der vor vier Jahren erschien. Magnusson kennt Island gut, er besucht die Insel häufig, und als er jetzt von dort nach Berlin zurückkam, sagte er: „Wer jetzt nach Island reist, um nach Spuren des Ruins zu suchen, wird kaum etwas finden – zumindest nicht an der Oberfläche. Kein besorgter Familienvater hamstert Benzin oder Dosenravioli, weder plündert die Jugend Supermärkte, noch zündet sie Autos an. Die Häuser sind noch genau so groß, wie sie vor der Krise waren, und die teuren Land Rover und Porsche Cayenne sind natürlich auch noch da. Nur dass niemand mehr ihre Besitzer beneidet. Zu viele Isländer haben solche Jeeps auf Pump gekauft und müssen nun Kredite in Dollar oder Euro abzahlen, die seit dem Absturz der isländischen Krone den Wert des Autos um ein Vielfaches übersteigen.“
Touristen fluten Reykjavík
Und der Wert der Statussymbole? „Die beeindrucken heute keinen mehr.“ Magnusson ist wirklich guter Dinge zurückgekehrt nach Berlin. Die Arbeitslosenquote liegt zwar bei knapp acht Prozent, und die Statistiker rechnen damit, dass sie im September weiter sinkt, weil das Semester beginnt und die Studenten nicht mehr auf Arbeitssuche sind. Magnusson: „Natürlich sind knapp acht Prozent für Isländer eine extrem hohe Zahl in einem Land, das bis vor einem Jahr überhaupt keine Arbeitslosigkeit kannte.“ Und für die Betroffenen sei das natürlich sehr schlimm. „Aber für die Mehrheit der Bevölkerung, die ja weiterhin Arbeit hat, zeigt sich die Krise hauptsächlich dadurch, dass sich mehr Menschen Sorgen um die Zukunft machen.“
Ja gibt es denn gar keine Zeichen, ja ein Menetekel der Krise? Magnusson lacht herzlich: „Die einzige wirklich auf den ersten Blick sichtbare Folge der Krise ist, dass sich sehr viel mehr Touristen durch die Innenstadt von Reykjavík shoppen. Die Restaurants und Cafés sind eher noch voller als im vergangenen Sommer. Denn nicht nur die Touristen geben mehr Geld aus – auch die Isländer, die nicht mehr ins Ausland fahren können, scheinen mehr auszugehen. Für Ferien an der Côte d’Azur mag kein Geld mehr da sein, für Kaffee und Kuchen in einem der Cafés in der Altstadt hingegen schon.“
Das Märchen, so muss man Magnusson verstehen, fing vor vielen Jahren an. Die Regeln des Finanzhandels waren gelockert, um nicht zu sagen: inexistent. Man spekulierte mit Ideen und Fantasien und gab sie als Produkte aus: Finanzprodukte. Island, bildungspolitisch ein Land mit vorzüglichen Pisa-Werten, war in dieser Hinsicht besonders rührig. Das Land mit der höchsten Dichte von elektronischen Geräten und Automobilen der Extraklasse. Die meisten Jeeps, Flachbildschirme, iPhones, Computer, De-luxe-Küchengeräte pro tausend Einwohner – und fast alle kauften sich Häuser. Kredite dafür gab es selbst dann, wenn einer kein Eigenkapital mitbrachte. Auf Island wollte man ran an den Speck, und das mit Unterstützung der eigenen Regierung wie aller Global Players.
Bis zum nächsten Knall?
Muss man sich nun Sorgen um dieses Land machen, nun, da es aus den Nachrichten verschwunden ist? „Ich bin weiterhin optimistisch“, so Magnusson. Wie groß die Schulden Islands wirklich sind, wie stark die Rückzahlungen der verpufften Bankguthaben an die Engländer und Holländer den Haushalt belasten werden und zu welchen Einschnitten das in der Gesundheitsversorgung, im Sozial- und im Bildungssystem führen wird, vermag noch keiner zu sagen. Man ging vom Schlimmsten aus, aber bislang ist es nicht eingetreten. Magnusson: „Ich beobachte nun seit bereits einem Jahr in den Medien eine Krisenrhetorik, die den Menschen weismachen will, dass es nur noch wenige Wochen bis zum großen Knall sind. Im letzten Herbst hieß es, dass Island bald keine Devisen mehr für Benzin und Medikamente haben werde. Im Winter wurde eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent vorausgesagt, sobald die gesetzlichen Kündigungsfristen abgelaufen waren. Die Medien überboten sich mit schlechten Prognosen, als wollten sie kompensieren, dass niemand adäquat vor der Krise gewarnt hatte. Nun scheinen ihnen langsam die Horrorszenarien auszugehen.“
Und was war sein Lieblingshorrorszenario? Magnusson sagt beinah erheitert: „Die Angst vor Abwanderung: die Angst, dass die gebildeten Isländer ins Ausland gehen und ihre weniger flexiblen Landsleute auf den Schulden sitzen lassen.“ Er hält das alles für übertrieben. Ob nun 10.000 Isländer mehr oder weniger auf der Insel wohnten, es führe nicht dazu, dass ein Tourist weniger käme, ein Fisch weniger gefangen oder weniger Aluminium produziert würde – und das seien nun mal die Haupteinnahmequellen der Volkswirtschaft. „Außerdem hat die Vergangenheit gezeigt, dass die meisten Isländer zurückkommen, sobald sie wieder einen guten Job in der Heimat finden können.“
Fleiß und Sparpotenziale
Aber ist die Lebensqualität nicht fühlbar gesunken? Magnusson unterbricht: „Lebensqualität hat sich noch nie daran gemessen, möglichst viel Freizeit zu haben. Im Gegenteil. Während in Deutschland der Aufschwung oft dazu genutzt wird, Arbeitszeitverkürzungen durchzusetzen, hatten die Isländer auf dem Höhepunkt des Booms fast alle zwei Jobs. Der Fleiß der Isländer stimmt mich zuversichtlich.“ Grinst und fährt nach einem Schluck Kaffee fort: „Nicht zu vergessen bitte das enorme Sparpotenzial, das sich bei den konsumfreudigen Isländern aufgebaut hat. Davon, dass die Leute für einige Jahre keine neuen Autos importieren und nicht dreimal im Jahr ins Ausland fahren, wird die Lebensqualität nicht deutlich sinken. Und der isländischen Ökonomie schadet es auch nicht, wenn die Leute zu Hause bleiben und ihr Geld dort ausgeben.“ Die Leute müssten sich bewusst machen, so Magnusson, welch Aufschwung die letzten Jahrzehnte gebracht hätten.
Am Beispiel von Island zeige sich das besonders gut: In den Achtzigern waren starke Inflationen normal. Die Volkswirtschaft war komplett vom Fischexport abhängig, die Banken befanden sich größtenteils in staatlicher Hand, es brauchte eine Genehmigung, um die notorisch schwache Krone in D-Mark oder Dollar zu tauschen, und der Handel war streng reguliert – sogar der Verkauf von Bier war bis 1989 verboten. „Nun ist es fast wieder wie damals“, flachst Magnusson: „Die Inflationsrate ist zweistellig, der Staat kontrolliert die Banken und rationiert Devisen. Wenn sie jetzt wieder das Bier verbieten, könnte man denken, die Isländer wollten mit der Globalisierung noch einmal von vorne anfangen.“
Spaß hat sie gemacht, die Party der letzten Jahre. Das kleine Island – ganz fett im Spiel der globalen Finanzströme. Magnusson lächelt fein. Das sei schon ein besonders gutes Gefühl gewesen, als isländische Konsortien plötzlich in der Lage waren, das berühmte, für das nationale Prestige der Dänen extrem wichtige Hotel „Angleterre einfach aufzukaufen – die beste Herberge der Krone in Hand der Nachfahren von Fischern und Bauern, von Menschen, die in den feinen Kreisen Kopenhagens immer mit leichtem Naserümpfen behandelt worden seien.
Kristof Magnusson, 33 Jahre, kennt dieses Hochgefühl aus eigener Erfahrung. Freunde und Verwandte dachten darüber gar nicht nach, für sie war es allenfalls theoretisch denkbar, dass all der Wohlstand keiner Gunst aus dem Irgendwo geschuldet war, sondern Fantasien aus Größenwahn und manischem Tempo. Island, sagt der Schriftsteller, war cool. Die Musik sowieso, mit Björk als Königin, die Kulturszene. Man flog nach Reykjavík und fühlte sich wie in den Clubs von Berlin-Mitte. Nur exotischer.
Ist das vorbei? „Im Gegenteil. Reykjavík ist ja jetzt bezahlbar.“ Und die letzte Frage: Wird auf Island gehungert? „Nein, aber in mehr Restaurants gibt es wieder Gerichte aus isländischen Zutaten: Schellfisch, Lamm, Rüben, Kartoffeln, was bei Touristen und Einheimischen gut ankommt.“ Mit diesem Wandel vom Global Player im Investmentbanking zum Anbieter einheimischer Produkte beweisen die Isländer, dass ihr Gespür für den Zeitgeist wohl weiter funktioniert.