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Archiv-Artikel

Ratinger Bürger stoppen Rathaus-Neubau

Erneut erfolgreicher Bürgerentscheid in Nordrhein-Westfalen: Ratingen stimmte am Sonntag gegen millionenteuren Abriss des 70er-Jahre-Rathauses. Verein „Mehr Demokratie“ sieht Trend zu erfolgreichen Bürgerbegehren im Land

RATINGEN taz ■ Der Ratinger Bürgerentscheid gegen den Rathaus-Abriss war erfolgreich. Am Sonntag votierten rund 67 Prozent der Bürgerschaft gegen einen 24 Millionen Euro teuren Neubau. Eine Sanierung des Hauses kostet nur rund 13 Millionen Euro. Bei einer Abstimmungsbeteiligung von 31,9 Prozent stimmten 15.943 Bürgerinnen und Bürger für den Erhalt des Hauses. Die zu überspringende Mindestzustimmung von 20 Prozent aller Stimmberechtigten lag bei 14.825. „Die Arroganz der Macht hat verloren“, sagte Stadtrat Manfred Evers (Ratinger Linke). Ein Rathausneubau wäre reine Geldverschwendung gewesen.

FDP, Grüne und Ratinger Linke hatten per Bürgerbegehren über 6.000 Unterschriften gegen den Abriss gesammelt. Weil eine Ratsmehrheit von CDU, Bürgerunion und SPD dem Bürgerbegehren nicht folgte, war der Bürgerentscheid notwendig geworden. Ratingens Bürgermeister Harald Birkenkamp (Bürgerunion) bedauerte das Abstimmungsergebnis. „Nach der Entscheidung der Ratinger Bürger werden wir das weitere Vorgehen jetzt so schnell wie möglich im Rat der Stadt abstimmen“, sagte er. Der Rathauschef ist erst seit der Kommunalwahl 2004 im Amt. Mit der CDU-Abspaltung „Bürgerunion“ wollte er eine bürgerfreundliche Kommunalpolitik in der rheinisch-bergischen 90.000-Einwohner-Stadt machen. Die Niederlage ist eine schwere Pleite für den Rathauschef. „Birkenkamp ist der große Verlierer“, sagte Stadtrat Evers.

Seit Monaten streiten Kommunalpolitiker und Bürger über Sinn und Unsinn eines Rathaus-Neubaus. Das rund 30 Jahre alte Rathaus gilt nicht als bauliches Meisterwerk. „Über die Schönheit des Rathauses kann man streiten, es ist aber ein Musterbeispiel für die Architektur der 70er Jahre“, kritisierte Grünen-Fraktionschefin Susanne Stocks die „Wegwerfmentalität“ in Ratingen. Die Stadt verwies stets darauf, man plane zweigleisig. Doch aus dem Stadtrat ist zu hören, die Verwaltung habe den kostenintensiveren Abriss angeblich immer gegenüber einer Sanierung bevorzugt.

Daniel Schily, Geschäftsführer des Vereins „Mehr Demokratie“, sieht den Ratinger Bürgerentscheid als direktdemokratischen Erfolg. „Die Bürger sind nicht bereit, in Zeiten knapper Kassen teure Großprojekte mitzutragen“, so Schily. Auch „juristische Versuche“, den Entscheid noch aufzuhalten, seien gescheitert. Zunächst sollte das Begehren wegen angeblicher Fehler für unzulässig erklärt werden. Darüberhinaus sieht Schily einen Trend zu erfolgreichen Bürgerbegehren im Land. Immer öfter erzwingt die Bürgerschaft Korrekturen auf kommunaler Ebene. Zuletzt hatte die Wählerschaft von Mülheim/Ruhr Ende Februar 2005 dem Stadtrat ein Privatisierungsverbot aufgebrummt. Im Januar hatten die Bürger in der Gemeinde Titz bei Jülich mit einem Bürgerentscheid eine teure Straßensanierung gestoppt. Knapp 62 Prozent der Teilnehmer am Entscheid stimmten für die Variante einer Bürgerinitiative, bei der Anwohner nichts bezahlen müssen. Schilys Fazit: „Das kommunalpolitische Korrektiv Bürgerentscheid funktioniert.“ MARTIN TEIGELER