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Archiv-Artikel

Showdown am Checkpoint

Heute in aller Frühe sollen die Mauerkreuze fallen – gegen den Widerstand der CDU und ehemaliger DDR-Häftlinge, die sich daran anketten wollen. Kultursenator Flierl kündigt historische Ausstellung an

von ULRICH SCHULTE

Zumindest eine Entwarnung können wir an dieser Stelle geben: Es wird nichts gesprengt werden am Checkpoint Charlie. Auch wird keine Abrissbirne heute Morgen das Privatmahnmal von Mauermuseumschefin Alexandra Hildebrandt zerbröseln. Ansonsten aber kann man für nichts garantieren.

Nach gestrigem Wissenstand wird es, wenn Sie diese Zeitung beim Frühstück lesen, an der Friedrichstraße zu absurden Szenen gekommen sein, und ein peinliches Gezerre (siehe Kasten) sein Ende finden: Frühere DDR-Häftlinge wollen sich an die Holzkreuze ketten, für die Boulevardpresse haben das einige schon vorgeführt. Ein Kran hebt die Mauersegmente Stück für Stück auf Lastwagen, Bauarbeiter schrauben die Kreuze ab. Dabei müssen sie hin und wieder innehalten, weil Museumschefin Hildebrandt „im Gespräch“ versuchen will, sie davon abzubringen.

Aber von vorn. Obergerichtsvollzieher Christian Günther ist ab 6 Uhr vor Ort. Zwei Stunden später als ursprünglich geplant, des Lärmschutzes wegen. „Verschiedene Firmen stellen geeignetes Gerät bereit, um die Mauern samt Fundament, die Kreuze und den Kies zu beseitigen.“

Nicht nur besagter Kran und mehrere Laster werden die Straßen blockieren. Die Polizei stehe für Amtshilfe bereit, sagte ein Sprecher, und werde „mit den nötigen Kräften da sein“. Ungewiss ist aber noch, ob die Mauerinstallation tatsächlich bis abends reif für die Geschichtsbücher ist – dies hängt vom Protest der Befürworter ab.

Immerhin in einer Dokumentation finden die 1.067 Kreuze nach ihrem Abriss Platz. Auf einem 360 Meter langen Bauzaun um die Grundstücke wird eine solche bald die Geschichte des Checkpoint Charlie erzählen, kündigte Kultursenator Thomas Flierl (PDS) gestern an. Eine temporäre Open-Air-Ausstellung auf dem Gelände des Blockes 200 werde ihr folgen – samt 180-Grad-Panorama, welches auch an die Panzerkonfrontation erinnern soll. „Langfristig soll am Checkpoint ein Museum des Kalten Krieges entstehen, das den Ort als Schauplatz der Blockkonfrontation der Supermächte dokumentiert“, sagte Flierl.

Museumschefin Hildebrandt, umtriebig wie eh und je, kündigte gestern bereits an, auch im Falle der Räumung weiter Geld für den Kauf der Grundstücke zu sammeln. Laut ihren Angaben verlangt die Eigentümerin, die Bankaktiengesellschaft BAG, 36 Millionen Euro. Wie viel sie beisammen hat, hält Hildebrandt geheim: „Es ist doch irrelevant, wie viel tausend Euro das sind.“

Die Hilfe von ganz oben ist ihr sicher. Ein katholischer Pater segnete gestern Abend die Kreuze, die evangelische Kirche schlug vor, die Kreuze an einen „würdigen kirchlichen Ort bringen zu lassen“. Das politische Berlin blickt derweil weitestgehend verständnislos auf die Museumschefin. Nur die Volkspartei CDU bietet für einen Ideenreichtum Hildebrandt’schen Ausmaßes genug Raum – Bundestags-Direktkandidaten und Abgeordnete bezeugten abends am Mahnmal Solidarität. „Das Entfernen der Kreuze ist ein barbarischer Akt. Die Bilder von einem Abriss werden das Ansehen Berlins beschädigen“, sagte Generalsekretär Frank Henkel und forderte einen Aufschub für die Spendensammlerin. Selbst das Französisch-Wörterbuch der Fraktion musste im Kampf wider rot-rote Geschichtsvergessenheit ran. Eine „Commission d’honneur“ (dt.: Ehrenkommission, die) sieht CDU-Landeschef Ingo Schmitt schon vor seinem geistigen Auge, in der Klaus Wowereit mit Ex-Stadtoberen wie Klaus Schütz, Hans-Jochen Vogel, Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen das Mauergedenken an sich mal ganz neu denken. Ehrensache, dass das Hildebrandt-Mahnmal „möglicher Teil“ (Schmitt) eines solchen Konzepts wäre.