Widrige Windschattenspiele

Radprofi Lance Armstrong möchte das Mannschaftszeitfahren dazu nutzen, seinen Verfolgern bei der Frankreich-Rundfahrt noch weiter zu enteilen. Jan Ullrich hofft indessen, keine neue Schmach im Kampf gegen die Uhr erleben zu müssen

VON MARKUS VÖLKER

Die Tour des Wartens geht am Dienstag in eine weitere Etappe. Ein Teamzeitfahren von Tours nach Blois über 67,5 Kilometer (ZDF, ab 14 Uhr) steht auf dem Plan. Das Warten auf eine Schwäche Lance Armstrongs sorgt bei der Rundfahrt für Spannung. Diese Gleichspannung baut sich jedes Jahr im Sommer auf, wenn die Meute durch Frankreich hetzt, fast zwei Hundertschaften durch die Lande pedalieren und am Ende ein Amerikaner gewinnt: Lance Armstrong.

Wieder liegt der Texaner vorn, wieder ist Jan Ullrich distanziert. Neu ist, dass der Deutsche bereits zu Beginn der Rundfahrt ziemlich weit zurückliegt, mit über einer Minute hinter dem wie aufgezogen strampelnden Armstrong. Der Vorsprung sollte sich beim Mannschaftszeitfahren vergrößern, wenn nicht ein Wunder geschieht. In den vergangenen zwei Jahren lag das Team Armstrongs stets vor der deutschen Werksmannschaft. 2004 verlor Ullrich & Co. über eine Minute, profitierte allerdings von einer Regel, die Zeitrückstände pauschal verteilt. Dies könnte den Rückstand auch diesmal in Grenzen halten, doch das Vorhaben, mit Vorsprung auf den Dominator der Asphaltwege in die Alpen zu gehen, dürfte gründlich daneben gegangen sein. Nun geht es nur noch ums Aufholen, ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, zumal dadurch ein heftiger Fluchtreflex in Armstrong ausgelöst wird.

Das Teamzeitfahren ist seit je eine besondere Disziplin des Radsports. Neun Fahrer einer Equipe begeben sich in den zermürbenden Kampf gegen Uhr, Wind und sonstige Widrigkeiten, von denen es eine Menge geben kann. Armstrong verbindet so etwas wie eine Hassliebe zum Teamzeitfahren. Einerseits bietet ihm diese Disziplin die Möglichkeit, seinen Konkurrenten Sekunden und Mut zu rauben, andererseits muss er mit Reifenplatzern, Formtiefs von Mitstreitern oder gar Stürzen rechnen – so wie beim Ausflug der neun schnellen Postler im Jahre 2002, als Christian Vanderfelde auf einem nassen Mittelstreifen ausrutschte und zu Fall kam. Armstrongs Edelhelfer Roberto Heras stürzte seinerzeit über Vanderfelde. Das Team verlor kostbare Zeit, und die Miene Armstrongs verfinsterte sich an jenem Abend erheblich.

Um ein solches Malheur zu verhindern, hat Armstrong Zeitfahren ausgiebig trainieren lassen. Der Rennkalender bot die Möglichkeit zu Tests. Bei der Katalonien-Rundfahrt gingen sechsköpfige Formationen auf Reise, allerdings begaben sie sich nur auf einen zwanzig Kilometer langen Parcours. Die Schweizer Phonak-Mannschaft siegte vor Discovery Channel, Armstrongs Arbeitgeber, und dem Team T-Mobile. Vor gut zwei Wochen wurde im niederländischen Eindhoven im Sextett gefahren, über 48,6 Kilometer. T-Mobile sah keinen Grund, die Tour-Fahrer zu diesem Rennen zu schicken, und nominierte Profis aus der zweiten Reihe. Sie spielten dann auch keine Rolle. Man landete auf Platz 16.

Andere Teams gingen dieses Rennen der ProTour ernsthafter an, das dänische Team CSC zum Beispiel, ebenso Phonak, Gerolsteiner – und natürlich Armstrongs Domestiken, die auf Rang fünf einkamen. Der Meister selbst blieb der Veranstaltung fern. Immerhin ließen sich seine Windschattenspender Jaroslav Popowitsch, George Hincapie und Benjamin Noval sehen. Armstrong sagt, das Geheimnis des Zeitfahrens im Pulk beruhe auf der Balance zwischen Geben und Nehmen. Und man müsse auf alles vorbereitet sein. Dies ist ein Kriterium, das Ullrichs Rennstall bisweilen zu vernachlässigen scheint. Um die Zweifel an der eigenen Stärke zu zerstreuen, lässt Sportdirektor Mario Kummer wissen: „Ich glaube nicht, dass die anderen mehr gemacht haben.“ In einem Magazin wird er mit den Worten zitiert: „Alle müssen an einem Strang ziehen. Es geht nicht darum, dass einer der Stärkste ist, sondern darum, seine Stärken in den Dienst der Mannschaft zu stellen.“

Das Team ist im Vergleich zum Vorjahr besser bestückt; die Sorgenfälle Erik Zabel und Rolf Aldag sind nicht dabei, dafür gilt es, die Kletterer Oscar Sevilla und Giuseppe Guerini am Dienstag mitzuziehen. „Man kann die Tour an diesem Tag nicht gewinnen“, prophezeit Teamchef Olaf Ludwig, „aber man kann sie verlieren.“ Was nur auf einen Fahrer zutreffen kann, auf Lance Armstrong, den designierten siebenmaligen Toursieger.