berliner szenen: Seltsame Tage, gibt’s einfach
Ich laufe zum Einkaufen und finde die Stimmung etwas merkwürdig. Die Leute gucken resigniert und meiden Blickkontakt. In der Drogerie rennt ein Junge den Gang entlang und streift mich mit der ausgestreckten Hand. „Du sollst doch nicht so nah an die Menschen herangehen“, höre ich eine Frau rufen. Der Junge lacht.
Etwas weiter weg steht ein Paar vor der Kosmetik. „Hier so was mein ich“, sagt er. Seine Stimme ist unangenehm. Er trägt einen graumelierten straffen Zopf, der seine Geheimratsecken noch weiter nach hinten zieht. Nah vor dem Regal schraubt er mal dieses, mal jenes Röhrchen auf. „So was hier“, sagt er und fuchtelt seiner Frau vor dem Gesicht herum. „Du meinst Wimperntusche?“, fragt die Frau. Alles an ihr ist braun. Ihre Augen hinter der Brille sind braun, ihr Haar ist lang, glatt und seidig braun wie ihre Jacke. „Ich weiß nicht. Ich hab dann immer Krümel im Auge.“ „Ach was.“ Er weiß es offenbar besser. „Hier sone nimmste jetzt mal.“ „In Braun dann“, sagt sie. „Doch nicht Braun. Braun ist langweilig, Schwarz nimmste“, ruft er grob. An seinem Kopf vorbei sieht sie mich an. Ich sehe sie an. Wir sehen uns deutlich länger an als normal. Ich überlege, ob ich was sagen soll, aber was kann man dazu schon sagen?
Die beiden gehen weiter und als ich etwas später vor den Müslisorten stehe, stellt sich die braune Frau plötzlich neben mich. Diesmal guckt sie mich an, als ob sie etwas sagen will. „Alles okay?“, frage ich und sie sagt: „Das wegen vorhin. Das klingt schlimmer, als es ist. Morgen hat er das schon wieder vergessen. Der is ’n Kontrolletti.“ Sie nickt bestimmt und wendet sich zum Gehen. „Aha“, sage ich etwas ratlos.
An der Kasse geht meine Karte erst nicht und da sagt die Kassiererin: „Ist’n seltsamer Tag heute. Gibt’s einfach, diese Tage.“
Ich nicke und sage: „Glaube auch.“ Isobel Markus
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