piwik no script img

Archiv-Artikel

MARIA ELIA: DIE NEUE VEGETARISCHE KÜCHE, 2010 Bilder für ErwachseneWasser im Mund

REZEPTE Viele Kochbücher sind nur zum Gucken. Diese vier können auch was: Erinnerung wecken

Ein Meter Kochbücher stehen im Bücherregal im Wohnzimmer. Und verstauben. Dabei ist das ein Vorzugsplatz – stünden sie in der Küche auf einem Brett neben Gewürzen, Essig und Öl, verklebten sie von den Kochdünsten noch.

Kochbücher sind ein schwieriges Genre. Es sind Bilderbücher für Geschmacksnerven, es sind Eintrittskarten in die kulinarische Fantasie. Neben Butterbrot und Kartoffelsalat fix heruntergeschlungen, zwischen einem Riegel Schokolade, im Stehen genascht, und einem schnell gelöffelten Joghurt gibt es den Blick auf diese Seiten, wo alles schöner ist: mit Zitronensahne verziert, mit Artischockenherzen dekoriert, mit Hasenlendenrillette und Knoblauchpaté belegt, mit Rotweinsorbet und Granatapfelmousse wolllüstig abgerundet. Zum Angucken schön. Und das war’s. Kochbücher sind Essen fürs Auge, sind Wasser im Mund.

Bis auf das eine Buch. Eins gibt es immer. Das fällt heraus. Da sind die Seiten abgegriffen, da sind Fettspritzer drauf, weil man sich ins Abenteuer der Kochkopierkunst gestürzt hat.

Von Maria Elia ist meins. Ein Kochbuch mit einem Ich, dem es auf die Spur zu kommen gilt: Tochter griechischer Einwanderer in England, eine, die Wassermelonen und Steinpilze liebt, Rote Bete und Erbsen, die Weltmeere befuhr, in Jodphur Urlaub machte, einen Vater hat mit einen Restaurant in Richmond und eine Mitbewohnerin, die gerne gärtnert. Elia ist eine Köchin, die auch Mensch ist. Vor allem aber ist ihr Buch eine Hommage an die vegetarische Küche. Gemüse wird Hochgenuss, Spinat, Fenchel oder Kürbis werden Delikatessen, wenn sie so sinnensatt zubereitet werden, wie Elia es vormacht. Und selbst wenn ich es nachkoche, schmeckt’s noch.

Waltraud Schwab

KOCHMAGAZIN LECKER: HAUSMANNSKOST DE LUXE, 2010

Wie bei Großmuttern

Damals, auf grün gemusterten Sitzkissen, darunter die aufklappbare Eckbank und darin alles Mögliche, Decken und Bügeleisen und Töpfe; Oma gab ein Stück Palmin in die Pfanne und dann die Schnitzel und schimpfte später, man solle die Finger nicht an den Sitzkissen abputzen, doch nicht an den grün gemusterten! – damals schmatzten die Enkel und fragten nach Pizza und Glasnudelsalat.

Manchmal sagten sie auch: „Letztes Mal war dein Fleisch aber zarter.“ Oder: „Letztes Mal waren deine Spätzle fester.“ Oma sagte: „Ich koch nicht mehr“, und kochte am nächsten Tag.

Es dauerte ein paar Jahre, bis dem Enkel von billiger Pizza schlecht wurde und die Enkelin Koriander im Glasnudelsalat entdeckte, dessen Geschmack sie als „seifig“ empfand.

Es dauerte noch ein paar Jahre länger, bis die Enkelin ein Kochbuch bekam, dessen Einband sie so abschreckte – viel Pink, eine Spitzenborte, das Wort „LECKER“ obendrauf –, dass sie es aufklappte. Sie sah: Schwarzwurzeln, Rosenkohl, Tafelspitz mit Croutons, Geschnetzeltes unter der Röstikruste, Tropfen von Rahmsoße über eine alte Schüssel rinnend. Sie las: „Lebkuchen“, „Wacholder“ und beim Umblättern Goethes Gedanken zur Kartoffel: „Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben, dabei soll’s bleiben, es ist gesund.“

Da kochte sie das Gulasch nach. An das Schnitzel, goldbraun gebacken nebst „Alibisalat“ – so steht es auf Seite 62/63 des Kochbuchs –, traut sich die Enkelin noch nicht, weil sie an Oma denkt und daran, dass die anderen Enkel nun auf ihrer Eckbank sitzen, die festen Spätzle loben und vor allem das zarte Fleisch. „Iss“, sagt Oma vielleicht.

Und dann roch es so gut, das Gulasch. Nach frischen Tomaten und Lorbeer und ihr.

Annabelle Seubert

Elisabeth Meyer-Haagen: Das elektrische Kochen, 1975

Teigverkrustetes Nachschlagewerk

Ich bin nicht mit Traditionen aufgewachsen. Wenn mein Urgroßvater, den ein Bulle an einer Eiche erdrückte, eine Armbanduhr hinterlassen hätte, wäre sie sicher längst in eine Güllekuhle gefallen. Immerhin gibt es dieses Kochbuch, das meine Oma unter ihrem Küchenfenster aufbewahrte. Sie schenkte meiner Mutter ein Exemplar zum Auszug; als es sich teigverkrustet nicht mehr umblättern ließ, gab sie ihr ein zweites, Druckjahr 1975. Das nahm ich irgendwann mit in meine Wohnung. Es ist mein einziges Kochbuch.

„Das elektrische Kochen“ heißt es – später: „Das Blaue Kochbuch“ – und es hat großes Potenzial, unsympathisch zu wirken. Die Erstauflage, erschienen 1936, wurde von dem Vattenfall-Vorgänger herausgegeben, um den Absatz von Elektroherden zu fördern.

Trotzdem kann es das, wofür ich ein Kochbuch brauche: ein Küchenlexikon sein. Andere mag ich als Appetitanreger, sinnliche Bilderbücher. Doch bei denen funktioniert die Übersetzung ins Essbare nicht: Rezept merken, Zutaten abschreiben, einkaufen. Die besten Gerichte entstehen bei mir aus der Beschränkung: dem, was da ist. Dazu etwas Intuition. Und ein kleines bisschen Handwerk. Für das Letzte braucht man ein Nachschlagewerk, das erklärt, wie man Brandteig macht oder Grießklößchen. Klar verrät das auch Google. Aber Teigkleckse auf der Tastatur sind eine Katastrophe. Teigkleckse auf dem Kochbuch Geschichte. Luise Strothmann

Gunhild von der Recke: Unser Kochbuch No. 1, 1984

Das Gewinner-Buch

An Kochbüchern stört mich, dass sie Menschen in eine Welt versetzen wollen, die nicht ihre ist, mit Fotos, die nicht im Leben spielen; mit weitschweifigen und zugleich lückenhaften Anleitungen; mit Zutaten, die es nur in London oder Catania gibt. Nach dem Kochen starre ich wütend auf ein Bild von Jamie Oliver: auf einer verdammten Vespa braust er durch Italien und grinst mich an, als wüsste er, dass sein Seeteufel in Parmaschinken bei mir wie gehobelter Radiergummi schmeckt. Ich sitze da, entnervt, uncool, täppisch. Als Verlierer.

Gut, dass ich das Kochbuch No. 1 habe. Es ist zwar schon von 1984 (und nur gebraucht erhältlich). Aber das macht nichts, denn No. 1 geht zu mir auf Augenhöhe runter, es spricht mit mir. „Was koche ich, wenn …“, ist das Inhaltsverzeichnis unterteilt: „… es schnell gehen muß“, „… Ebbe in der Kasse ist“, „… viele großen Hunger haben“. Egal ob Spaghetti alla zappatora oder Béarnaise: Jedes No.-1-Rezept ist kurz, kompakt, pragmatisch. Hier kann ich gewinnen. Die Gerichte auf den Fotos sehen mindestens unappetitlich aus, aber genau das macht es so leicht, eine bessere Version herzustellen. Kleine Hinweise vor jedem Rezept bereiten ebenfalls elegant meine Siege vor: „Braucht etwas Zeit“, warnt No. 1. „Okay, nehm ich mir“, sage ich. „Preiswert“, verspricht No 1. „Gut gespart“, lobe ich mich. „Nicht ganz einfach“, erklärt No. 1, und nach dem Essen jubele ich: „Meister Georg hat’s doch geschafft.“ GEORG LÖWISCH