: Der Albtraum Abschiebung
Im Sauerland werden Abschiebekandidaten nachts abgeholt. Kurde springt in Panik vom Balkon. Das Vorgehen der Behörde „erinnert an faschistische Methoden“, sagt Superintendent Lothar Kuschnik
VON NATALIE WIESMANN
Die Abschiebepraxis des Hochsauerlandkreises erinnert Lothar Kuschnik, Superintendent des Kirchenkreises Arnsberg, an „faschistische Methoden“. Auslöser der harschen Kritik war der aktuelle Versuch der Ausländerbehörde, in der Nacht eine kurdische Familie aus Brilon abzuschieben. Der 31-jährige Familienvater war vergangene Woche aus Panik von seinem Balkon geklettert und vier Meter in die Tiefe gestürzt. Schwer verletzt wurde der Mann ins Krankenhaus eingeliefert.
Pastor Kuschnik kann es nicht fassen, dass die Ausländerbehörde so unsensibel vorgeht. „Ich kann die Panik des Mannes nachvollziehen“, sagt er der taz. Das Ehepaar war wegen seiner politischen Tätigkeit in der Türkei gefoltert worden. „Da läuft doch der ganze Film wieder ab.“ Nächtliche Abschiebungen seien im Hochsauerlandkreis Usus, sagt Kuschnik, „und dagegen wehren wir uns“. Aus diesem Grund habe seine Synode eine Resolution verfasst. Darin fordert sie den Hochsauerlandkreis dazu auf, von diesem Vorgehen abzusehen.
„Wir machen das auch nicht gerne“, rechtfertigt Kreisdirektor Winfried Stork die Abschiebemethoden seiner Behörde. Das Innenministerium gebe aber nunmal feste Flugtermine vor. Um die Flugzeuge zu erreichen, müsse das Ausländeramt die Betroffenen teilweise nachts aus ihren Wohnungen holen. Die Forderung Kuschniks, die Termine vorher mitzuteilen, wies der Kreisdirektor zurück. „Dann sind die nicht mehr da“, sagt er. Die zwangsweise Abschiebung sei schließlich nur das letzte Instrument. Die Familien hätten zuvor lange Zeit die Möglichkeit gehabt, eine freiwillige Ausreise zu planen.
Die frühen Flugtermine als Grund für die nächtlichen Überfälle des Ausländeramtes hätten nach Meinung von Storks nur auf den ersten Blick etwas Unmenschliches. „Wenn die Flugzeuge später starten, stehen die Betroffenen dann irgendwann am Nachmittag oder Abend an einem Zielflughafen im Kosovo und kommen dort nicht weiter.“
Pastor Kuschnik hält dagegen: Unmenschlich sei die Tatsache, dass die Behörden sich darüber hinwegsetzten, dass der Härtefallkommission des Landes Nordrhein-Westfalen ein Antrag der kurdischen Familie vorlag. „Ich erwarte ja nicht, dass die Behörden gegen das Recht verstoßen, sie sollen es aber wenigstens ausschöpfen.“
Seit zwölf Jahren lebe die Familie hier, der Vater habe seit fünf Jahren einen festen Job, die kleinen Kinder hätten die Türkei noch nie gesehen. „Die Eltern landen bei ihrer Ankunft im Knast, was soll dann mit den Kindern geschehen?“, will Koschnik wissen.
Auch der Flüchtlingsrat NRW verurteilt das Vorgehen der Abschiebebehörde. „Das ist barbarisch, wie diese Abschiebungen laufen“, erklärt Geschäftsführerin Andrea Genten. „So geht man mit Menschen einfach nicht um.“ Immer häufiger sei in letzter Zeit zu beobachten, dass die Behörden auf brutale Weise abschieben. Der Vorgang im Hochsauerlandkreis sei keineswegs ein Einzelfall. Das Argument, dass Verdunkelungsgefahr bestehe, wenn man die Abschiebungen vorher ankündige, lässt Genten nicht gelten. Natürlich könne es sein, dass einige Menschen dann versuchten zu flüchten. „Aber das zeigt doch, welche Angst diese Leute vor einer Rückkehr in ihre Heimat haben.“