berliner szenen: Der Radiologe heißt Scotch
Gestern. Ein großes Berliner Krankenhaus. Rettungsstelle. Es ist Sonntagabend. Ich bin Ärztin. Das ist so etwas Ähnliches wie Arzt. Mein erster Patient ist gebürtiger Amerikaner. „Ich heiße Bourbon“, sagt er. „Wie der Whiskey?“ – „Wenn Sie so wollen.“ Er wirkt beleidigt. „Bei Bourbon liegt der Schwerpunkt auf Mais, oder?“, sage ich. Überrascht sieht er mich an: „Woher wissen Sie das?“ – „Ich hatte neulich einen Patienten, der hieß Whiskey und war beleidigt, als ich ihn fragte: Wie der Bourbon?“ Der Mann lacht: „Und da haben Sie nachgelesen?“ Ich nicke. „Meinem Chef ist Literaturrecherche sehr wichtig.“ Der Mann lacht wieder.
„Sie lachen viel“, sage ich. „Das ist schon mal gut. Was führt Sie denn zu uns?“ Der Mann wird ernst. „Ich habe Bauchschmerzen und hatte schon mal eine Gallenblasenentzündung.“ – „Wo sind denn die Schmerzen?“ Der Mann deutet auf den rechten Oberbauch. Während der Untersuchung wird er weiß im Gesicht und stöhnt. „Ich nehme Ihnen jetzt mal Blut ab“, sage ich, „es könnte schon sein, dass das die Galle ist. Einen Ultraschall brauchen wir auch noch, den macht der Radiologe. Haben Sie heute Alkohol getrunken?“ Der Mann wird rot. „Whiskey“, sagt er schuldbewusst. „Gemälzte Gerste“, nicke ich verständig. „Aber es wird Sie freuen, der Radiologe heißt Scotch.“ Der Mann lacht wieder laut. „Ich liebe es! Meine Ärzte heißen alle wie Alkoholika.“ – „Wer denn noch?“ – „Mein Urologe heißt Becks, mein Zahnarzt Martini, und meine Psychotherapeutin Hennessy. Und wie heißen Sie?“ Ich nenne ihm meinen Nachnamen. „Sie Arme. Das klingt alkoholfrei. Vielleicht sollten Sie heiraten. Wie heißt denn Ihr Freund?“ Ich winke ab, doch der Mann insistiert. „Selters“, sage ich schließlich.
Erst als der Radiologe wieder auf seine Galle drückt, hört der Mann auf zu lachen. Eva Mirasol
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