: Spiegel der Vergangenheit
GESCHICHTE Beim Treffen der Mendelssohn-Nachfahren stellte der Bildhauer Micha Ullman den Entwurf eines Denkmals für Moses Mendelssohn im Roten Rathaus vor
Im Säulensaal des Roten Rathauses, dort wo bronzene Medaillenporträts an bedeutende Berliner erinnern, kommt es am vergangenen Freitagabend zu einem Familientreffen der besonderen Art: Geladen sind Nachfahren der Familie Mendelssohn, und so tummeln sich die Mendelssohns aus aller Welt, alte und jüngere, unter dem Kreuzgewölbe. Freilich tragen die meisten von ihnen längst nicht mehr den Namen Mendelssohn.
Nicht zum ersten Mal sind über 200 Mendelssohn-Nachfahren nach Berlin gekommen; das Treffen ist auch ein Zeichen für ein ganz besonderes, aber durchaus gerechtfertigtes Traditionsbewusstsein. Denn Moses Mendelssohn, der Stammvater, der am 22. Juni 1762, vor genau 250 Jahren, zu Berlin Fromet Guggenheim heiratete und von dieser zehn Kinder bekam, steht wie kein anderer für deutsche und jüdische Aufklärung gleichermaßen. Sein Haus in der Spandauer Straße 68 wurde zum „Haus der Berliner Aufklärung“, wo sich Wissenschaftler, Gläubige und Freunde wie Gotthold Ephraim Lessing die Klinke in die Hand gaben. Den Nachkommen entsprangen Berühmtheiten wie die Bankiers Mendelssohn oder der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy.
Just am Tag der Hochzeit geht es darum, in Berlin einen Ort der Erinnerung an den großen Philosophen zu schaffen, dessen Andenken und Werk von den Nazis geschändet, aber – im Gegensatz zu den damals lebenden Juden – nicht vernichtet werden konnte.
Zwölf Fenster und eine Eingangstür bildeten die Fassade des Hauses Mendelssohn in der Spandauer Straße 68, das schon längst nicht mehr existiert. Zwölf Fenster und diese Tür sind der Ausgangs- und der Endpunkt für die Gestaltung eines Denkmals, das der israelische Künstler Micha Ullman an diesem Freitag vorstellt. Die Maße dieser Fenster und der Tür sollen, in Form von poliertem schwarzem Vulkangestein, in das Straßenpflaster eingelassen werden. Diese Steine, so erklärt Ullman, werden die Umgebung zum Spiegeln bringen – je nach Perspektive den nahen Fernsehturm, die Marienkirche, aber auch vorbeieilende Passanten. „Das tiefste Gebäude der Stadt wird hier sein“, erklärt Ullman, der Zufall werde die Spiegelbilder gestalten.
Das projektierte Denkmal korrespondiert mit dem Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung von 1933 auf dem nahen Bebelplatz, das 1995 ebenfalls von Ullman gestaltet worden ist. Er ließ dort ein Loch im Pflaster ausheben. Auf der begehbaren Glasplatte darüber spiegelt sich die Umgebung des Platzes, wo Berliner Studenten am 10. Mai 1933 etwa 30.000 Bücher von August Bebel bis Alfred Döblin als Zeichen „wider den undeutschen Geist“ verbrannten. In der quadratischen Grube verweisen leere Regale auf die Barbarei vor jetzt fast 80 Jahren.
Gerissene Linien
Die Verbindung zwischen Bebelplatz und dem Pflaster vor der Marienkirche, dem Ort, wo das Mendelssohn-Denkmal einmal liegen soll, ist nicht zufällig gewählt. Nicht nur der Geist der Aufklärung ist von den Nazis vernichtet worden. Auch wenn der Kulturstaatssekretär und Vorsitzende der Mendelssohn-Gesellschaft, André Schmitz, an diesem Tag im Roten Rathaus darauf hinweist, dass in der Stadt wieder die größte jüdische Gemeinde Deutschlands lebt, so sind doch die meisten Traditionslinien zu Moses Mendelssohn gerissen.
Noch ist die Fenster-Installation zur Erinnerung an den freien Geist Moses Mendelssohn ein Projekt. „Wir sind im vierten, vielleicht fünften Monat des Werks“, sagt Ullman. Man sucht noch nach Mitteln zur Realisierung. Es wäre eine Schande für Berlin, sollten sich diese nicht finden lassen. Aber es wäre eine Ehre für die heute lebenden Berliner, gäbe es endlich wieder einen Erinnerungsort für einen der größten deutschen Philosophen und Begründer der jüdischen Aufklärung im Herzen dieser Stadt. KLAUS HILLENBRAND
■ Eine Ausstellung „Hochzeit – Liebes- & Trennungsgeschichten aus 250 Jahren Familie Mendelssohn“ ist in der Heilig-Geist-Kapelle, Spandauer Str. 1, zu sehen, täglich 12 bis 18 Uhr, bis 22. August