: Werde ich kein Rockstar, werde ich Veranstalter
Marcus Gloria, 41, veranstaltet zum 20. Mal das Open-Air-Festival „Bochum Total“ – obwohl er ursprünglich lieber selbst auf der Bühne stehen wollte
VON BORIS R. ROSENKRANZ
Stellen Sie sich einen Mann vor, hoch und breit gewachsen, der in einem rosa Knitterhemd vor einer orangefarbenen Wand sitzt. Er heißt: Gloria. Vorname: Marcus. Und er ist unruhig. Unentwegt rutscht er auf dem schwarzen Kunstledersofa hin und her, das direkt neben dem Eingang seines Bochumer Büros steht. Er kratzt sich am Rücken, wechselt die Position, streicht mit den Fingern über die Lippen. Der Zeitpunkt ist ungünstig. Eigentlich hat Marcus Gloria keine Zeit.
Es ist Nachmittag, draußen klatscht Regen auf den Asphalt. Heute startet mitten auf der Bochumer Feier-Meile Bermuda-Dreieck Glorias größte Veranstaltung: „Bochum Total“. Bis zu einer Million Menschen werden wieder die Straßen verstopfen, werden tanzen, feiern, Krach machen. Aber erst mal die Personalien. Marcus Gloria ist 41, wohnt mit seiner Frau, einer Realschul-Rektorin, und seinen beiden kleinen Kindern im beschaulichen Hattingen. Dort ist er auch aufgewachsen. „Die Karriere macht jeder Ruhri“, sagt Gloria: „In einer kleinen Stadt aufwachsen, dann in die Großstadt Bochum ziehen, und dann wieder zurück.“
Als Gloria 1986 das nach dem Kölner Ringfest inzwischen zweitgrößte Musikfestival Nordrhein-Westfalens gründete, hatte er noch eine andere, recht profane Vision: „Ich wollte reich und berühmt werden“, sagt er, senkt den Blick und lächelt. Dann beginnt er zu erzählen: Seine Band hieß „That‘s it“, man habe Rock gespielt und Pop, nur „eigene Sachen“. Ende der Achtzigerjahre war es allerdings noch ziemlich mau in Bochum, was Diskotheken betrifft. Am Stadtrand hatte gerade die Zeche aufgemacht, da wollte jeder hin, aber für einen Auftritt mit der eigenen Band, dafür war die Zeche doch zu groß. „Es gab noch die Maischützen“, erinnert sich Gloria, aber die hätten auch kein Forum für Rock geboten. Also? Also einfach selbst eine Bühne aufstellen, ein paar Bands einladen und – natürlich – selbst dort auftreten. Im September 1986 stand „That‘s it“ dann auf einer der damals noch zwei Bühnen in der Bochumer Innenstadt.
Viele in Bochum hielten Gloria und seinen damaligen Kompagnon Heri Reipöler für Spinner. Ein Musikfestival in der Innenstadt? Unsinn! Das würde nicht funktionieren. Und heute? Reipöler ist mittlerweile Chef der Bochumer Agentur Radar Music. Und Gloria organisiert mit seiner eigenen Agentur namens „Cooltour“ neben Bochum Total etliche Veranstaltungen im Ruhrgebiet: das Open-Air-Kino im Innenhof der Bochumer Fiege-Brauerei, das Campusfest in Duisburg oder Auftragsarbeiten, zum Beispiel für das Theater-Festival Ruhrtriennale.
Reich und berühmt? Ist Gloria nicht. Höchstens in Maßen. Heute kann er sich 16 Alaska-Huskies leisten und ein 3.000 Quadratmeter messendes Anwesen in Hattingen, auf dem die Hunde auf und ab jagen. Dass er kein Rockstar geworden ist, sondern Veranstalter, ist mittlerweile auch okay: „Ich wollte immer etwas mit Musik machen, egal was“, sagt Gloria. Deshalb hatte er nach dem Abitur auch begonnen, Musikwissenschaften und Germanistik zu studieren. Natürlich hätte sein Vater, ein Diplom-Bergingenieur, gerne gesehen, dass der Junge etwas Ordentliches macht, etwas mit Hand und Fuß. „Deshalb bin ich ja auch so früh ausgezogen“, grinst Gloria und erzählt, wie er mit 18 in eine Gegend in Bochum gezogen ist, wo sich gerade Hausbesetzer eingenistet hatten.
Mit dem Studium war es dann relativ schnell vorbei. Bochum Total wuchs und wuchs, ganze Straßen wurden gesperrt, weitere Bühnen kamen hinzu. Heute steht, immer am ersten Wochenende der Sommerferien, der Verkehr in der Innenstadt still. Seit 1998 die WDR-Teeniewelle Eins Live eine eigene Bühne bestückt, steigt die Besucherzahl von Jahr zu Jahr. Das bringt freilich nicht nur Erfreuliches mit sich.
Im vergangenen Jahr wollte die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) weit mehr als 100.000 Euro Gebühren von Gloria haben. Wenn der Veranstalter heute davon erzählt, blüht er förmlich auf. Warum? Weil ihn die GEMA vor den Kadi gezerrt hat, Gloria das Gericht aber als Sieger verließ. Niemand in der Branche hätte das für möglich gehalten. Mit der GEMA will sich keiner anlegen. Außer Gloria. Er kann es sich aber auch leisten. Der Rechtsanwalt, der ihn gegen die GEMA und bei allen anderen Rechtssachen vertritt, ist sein Bruder Christian. Ohne ihn, gibt Marcus Gloria zu, wäre der Streit mit der GEMA vielleicht nicht so rosig ausgegangen.
Dennoch: Marcus kann sich auch ohne Christian durchsetzen. Das hat schon so mancher Beamte in einer staubigen Behörde zu spüren gekommen. „Ich bin nicht körperlich aggressiv, aber ich werde schon mal laut“, sagt Gloria, springt auf, trällert: „Ich muss jetzt mal wieder arbeiten“ und geht in sein Büro. Wüst sieht es hier aus. CDs liegen rum, rund 1.500 Bands schicken jedes Jahr ihre Demo-Tapes, weil sie bei Bochum Total spielen wollen. Gloria ruft seine E-Mails ab. Schlechte Nachrichten: Eine Film-Preview für das Open-Air-Kino wurde abgesagt. Gerade jetzt, wo doch das Programmheft schon im Druck ist. Gloria hackt eine Nummer ins Telefon. Warteschleife. Gloria summt die Melodie mit.
Ob er jetzt, wo aus dem Rockstar-Leben nichts geworden ist, noch eine andere Vision habe? Und jetzt Achtung: Der Mann, der einst davon träumte, Gitarrenakkorde durch ausverkaufte Hallen zu jagen, der Mann, der heute ein Pop-Festival veranstaltet mit Bands, die oft mehr scheppern als klingen, dieser Mann würde bald am liebsten was veranstalten? Na klar, ein Klassik-Festival.