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Archiv-Artikel

Gottes Modenschau und Würde

20.000 AfrikanerInnen leben in Hamburg und haben dort rund 50 afrikanischen Gemeinden jeglicher Glaubensrichtung gegründet. Ein offener Termin für alle Gläubigen ist der ökumenische Gottesdienst, den die Nordelbische Kirche ausrichtet. Wobei klar ist: Um Religion alleine geht es dabei nicht

Von Reiner Scholz (Text) undHannes von der Fecht (Fotos)

Sonntagmittag in der Erlöser-Kirche am Berliner Tor in Hamburg. Der Gottesdienst der deutschen Lutheraner ist zu Ende. Jetzt kommen die Afrikaner in die Kirche. Eine Combo trifft ihre Vorbereitungen, das Key-Board wird neben dem Altar aufgebaut, ein Schlagzeug, Elektro-Gitarren und Mikrofone werden angeschlossen, Klanghölzer bereit gelegt. „Zuerst kommt der Lobpreis Gottes, dann machen wir Musik und tanzen, damit uns warm wird“, sagt Pastor Alex Afram. Vor Beginn lässt der kleine Mann mit dem vorsichtigen Lächeln neben dem Altar noch eine Küchenuhr aufhängen. “Wir versuchen jetzt alles mit Zeit zu machen. Früher war unser Gottesdienst manchmal zu lang.“

Während die Gläubigen ihre Plätze einnehmen, setzt die Musik ein. Gut 60 Personen sind gekommen, alles West-Afrikaner, überaus fein angezogen. Die Männer tragen meist dunkle Anzüge mit bunten Krawatten, die Frauen Blazer oder bunte, lange Gewänder, goldene Ohrringe, breite Halsketten. Es entsteht sofort eine fröhliche, lockere Stimmung. Unterstützt durch Gospel-Musik beginnt Pastor Afram seine Predigt, immer wieder vom Englischen wechselnd ins „Twi“, der Muttersprache der meisten hier. Die Gemeinde ermuntert ihn mit Zurufen: „Hey Lord“, heißt es, „Halleluja“ oder „Ey Man“.

Bald sind alle Gläubigen von den Bänken aufgestanden. Vor allem die Frauen kommen nach vorn, greifen sich die Mikrofone und stimmen in die Musik ein. Während alle in Bewegung sind, kann sich jeder einzelne mit seinen Sorgen und Nöten an Jesus, den Lord zuwenden. Viele sprechen enthusiastisch in ihr Hände, halten Zwiesprache mit dem, „der alles lenkt“. „Wir Ghanaer sehen eine Lösung in Gott“, sagt Alex Archidim Dankwar. Der „Pfingstler“, der im Alltag seit 10 Jahren Taxi fährt, ist in diesem Gottesdienst einer der Prediger. Der groß gewachsene schlanke Mann macht derzeit an der Universität Hamburg eine Ausbildung zum Geistlichen. Er ist überzeugt: „Gott hat das totale Sagen, er löst unsere Probleme.“

Heute predigen Archidim Dankwar, Alex Afram und einige andere zusammen, es ist ökumenischer Gottesdienst, initiiert unter anderen von Alex Afram. Er, der in Ghana geboren ist und seit 28 Jahren in Deutschland lebt, leitet das Büro für „Afrikaner-Seelsorge und Gemeindebildung“ der Nordelbischen Kirche. Den allmonatlichen ökumenischen Gottesdienst führen Lutheraner, Baptisten, Pfingstler und Charismatiker gemeinsam durch. Mit Veranstaltungen wie dieser versucht die Nordelbische Kirche, die auseinander strebenden Teilkirchen wieder einzubinden.

In Hamburg, mit 20.000 Afrikanern eine Hochburg afrikanischer Migration, gibt es fast 50 afrikanische Gemeinden fast jeglicher Glaubensrichtung. Die afrikanischen Kirchen in der Fremde entsprechen denen in der Heimat. Schwer haben es dagegen die traditionellen Missionskirchen, Katholiken und Lutheraner. „Ihr Gottesverständnis, etwa die Vorstellung der Dreifaltigkeit, ist zu kompliziert“, sagt Regina Jach, Ethnologin und Autorin einer vergleichenden Untersuchung über „westafrikanische Kirchen in Ghana und Hamburg“, die demnächst als Buch erscheint. Im Kommen seien vor allem evangelistische Strömungen, so genannte Charismatiker wie die Pfingstkirchen, die ein Evangelium predigen, das sich an der „Ausschüttung des heiligen Geistes“ orientiert und vieles mit den Südstaaten-Gemeinden in den USA gemein haben. Sie könnten gut an afrikanische Traditionen anschließen, so Jach: „Da spielen Ahnenvorstellungen eine Rolle, Hexereivorstellungen als Erklärungsmuster für das Böse, bestimmte Schöpfungsmythen, aber auch die Zungenrede und Spontanheilungen.“

Viele Afrikaner seien sehr gläubig, dabei aber inhaltlich keineswegs so festgelegt wie Europäer. Man gehe heute in den Gottesdienst, morgen in einen anderen, sagt Jach. So sei es auch zu erklären, dass „in Afrika Evangelisten aus den USA und Europa ganze Stadien füllen. Ihr Ansatz, wonach jemand seine Situation nachhaltig verändern kann, wenn er nur rechtgläubig ist, ist dabei durchaus fragwürdig.“

Sonntagsgottesdienst in Deutschland, das ist für viele Afrikaner nicht nur Religion, sondern auch Informationsbörse, Netzwerk, Modenschau, Heimatgefühl, Aufgehobensein, Würde. Die Gemeinden haben oft wohlklingende Namen. In Harburg etwa hat Prince Ossai Okeke Ossai die „Christ’s Ambassadors Church of God“ gegründet. Der gutmütig wirkende Pastor kam 1994 als nigerianischer Kaufmann nach Hamburg und verspürte 1999 seine christliche Berufung. Es sollte etwas eigenes sein, denn „die deutschen Gottesdienste waren langweilig. Ich habe überhaupt nichts gespürt“.

Heute führt er eine eigene Gemeinde, begleitet von seiner deutschen Frau Christina, die zuweilen zusammen mit ihm den Gottesdienst zelebriert. „Ich bin von Hause aus evangelisch-lutheranisch, habe mich in der Friedensbewegung engagiert, war aber gleich fasziniert von den afrikanischen Gottesdiensten, vor allem auch von der Musik“, sagt Christina Okeke. Die „Christ’s Ambassadors Church“ ist eine der stark im Aufwind befindlichen afrikanischen Pfingstgemeinden mit allem, was dazu gehört, etwa Spontanheilungen: „Vor zwei Wochen kam ein deutscher Gemeindebruder zu mir“, erklärt Pastor Okeke stolz, „er hatte Rückenschmerzen. Ich habe meine Hand auf seinen Rücken gelegt und gebetet: Lieber Jesus, heile meinen Bruder. Stunden später bekam ich eine SMS: Pastor, ich habe keine Schmerzen mehr“.

Nach gut dreieinhalb Stunden – die Küchenuhr hat niemanden interessiert – strebt der ökumenische Gottesdienst in der Erlöserkirche am Berliner Tor seinem Höhepunkt zu. Alle Prediger sind vorne um Pastor Afram versammelt, jeder redet auf seinen Gott ein – und jeder Gottesdienstbesucher tut es auch. Ein Besucher wirft sich vor dem Altar auf den roten Teppichboden, eine Besucherin fleht zum Himmel. Zu hören ist ein vielstimmiger Chor, unterstützt von der Musik der Combo, die immer schneller und intensiver wird: das Finale.

Dann ist Schluss. Alle sehen glücklich aus. Man geht reihum, gibt sich die Hand. Einige sind erschöpft, wischen sich den Schweiß von der Stirn. Die Gläubigen gehen in einer langen Reihe am Altar vorbei und werfen ihren Obulus in eine Silberschale. Wenn es gut läuft, kommen 200 Euro zusammen. So finanzieren sich die afrikanischen Gemeinden. Einige holen noch den Staubsauger heraus und reinigen den roten Teppich, andere stehen in Gruppen zusammen und plaudern. Manche Freunde nimmt Archidim Dankwar mit in sein frisch geputztes Taxi, die meisten streben der Station „Berliner Tor“ zu, im Ohr die Gospels aus dem Gottesdienst. Und wie jeden Sonntag werden sich in den U-Bahnen viele Fahrgäste die Frage stellen, warum sich die Afrikaner heute so hübsch gemacht haben.