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Archiv-Artikel

Der Qualitätsvermutungsaspekt

Von Mode als Freiraum, der Rückkehr des Anzugs und der Peinlichkeit, sich nach Maßgabe traditioneller Modemagazine zu kleiden: Ein Gespräch mit Joachim Schirrmacher, Chefredakteur des Modemagazins „style in progress“ und Kurator der Ausstellung „ausgeze!chnet“ im Wagenfeld Haus

Ist Bremen mit seinem sozialdemokratischen Milieu überhaupt ein Ort für Mode, die doch immer mit der Idee von Luxus verbunden ist?

Joachim Schirrmacher, Chefredakteur „style in progress“: Zur spezifischen Situation in Bremen kann ich wenig sagen. Allerdings hat sich bei den Sozialdemokraten seit Schröder auch einiges geändert. Es gab einen Riesen-Aufschrei, dass Schröder Brioni getragen hat.

Weil man ihm Luxus vorwarf. Sind die hier ausgestellten Sachen auch luxuriös?

Überhaupt nicht. Erstens ist die Frage: Was ist heute überhaupt Luxus? Es gibt einen berühmten Aufsatz von Enzensberger, in dem er schreibt, dass Luxus heute das Immaterielle ist: Zeit, sauberes Wasser, Ruhe. Alles, wo es um Status ist, gilt in informierten Kreisen heute als peinlich. Bei dem, was wir in der Ausstellung zeigen, gehen beide Seiten an ihre Grenzen: Die Designer beuten sich oft selbst aus, um das zu erstellen und die Käufer gehen an ihre absoluten Grenzen, um es sich leisten zu können.

An die absoluten Grenzen?

Es ist nicht mehr, wie wir sie in der Branche nennen, die „Frau im Goldkäfig“ – Mann geht arbeiten, sie weiß nicht, wie sie das Geld ausgeben soll. Die Käufer der ausgestellten Mode sind dagegen Leute, die viel arbeiten, oft Freiberufler, die ein Statement brauchen.

Ein Statement in Sachen...?

Als Qualitätsvermutungsaspekt für ihre Arbeit.

Ist nicht das Problem bei dieser Mode, dass der Nicht-Fachmann nicht erkennen wird, ob die Sachen aus einem Designer- oder einem Secondhandladen stammen?

Das traditionelle Verständnis von Mode, darüber Status zu zeigen – Versace, Escada, auffällige Farben, Goldknöpfe – ist absolut vorbei. Was wir jetzt, gerade auch in Berlin, haben, nämlich Mode als Raum der Möglichkeiten zu begreifen, kann man ja auch als Befreiung sehen. Früher wagte man nicht zum Bäcker zu gehen, ohne sich gepudert zu haben.

So wie es heute nicht mehr die Original Vuitton-Tasche sein muss, solange das Plagiat nur gut gemacht ist.

Als ich letztes Wochenende bei der Sportartikelmesse in München war und dort abends Window-Shopping machte, um zu gucken, was der Handel, habe ich in einem Fenster zwölf Poloshirts gesehen zu Preisen zwischen 19,10 Euro und 79,90 Euro. In der Herstellung kosten sie alle maximal fünf Euro. Weswegen zahlt man so viel mehr? – Ich denke, dass dieses Markenversprechen mehr und mehr nachlässt und die Leute immer weniger bereit sind, das zu bezahlen.

Was müsste man bei den von Ihnen gezeigten Designern für ein Kleid anlegen?

Im Schnitt 1000 Euro. Aber hier sind es nachvollziehbare Preise. Das sind sehr hochwertige Stoffe und in Kleinstserien angefertigte Sachen – es ist viel exklusiver als bei Armani. Dabei sind die Gewinnspannen viel geringer als bei etablierten Marken.

Ist dieser nachlassende Markenglaube in Deutschland und Europa Ursache dafür, dass schon junge Designer tunlichst nach Kunden in Asien Ausschau halten?

Natürlich ist es auffallend, dass diese Leuten ihre meisten Kunden in Japan haben. Das erklärt sich ganz stark über die japanische Kultur, wo Mode eines der wesentlichen Mittel ist, Individualität auszudrücken.

Wäre Mode nicht auch in Deutschland gerade in Zeiten sozialer Verunsicherung ein probates Mittel, sich seiner selbst zu vergewissern?

Das sogenannte „Dress for success“? Es gibt ja viele Leute, die sagen: Der Anzug kehrt bei den Männern wieder. Um zu signalisieren: Ich bin der brave Arbeiter, der nicht aufmuckt und seinen Bückling macht. Auf der anderen Seite ist eine große Lust da, sich gut anzuziehen. Aber es fehlt an Gelegenheiten, diese Dinge zu tragen. Und es braucht Zeit, sich gut anzuziehen: Allein weil jemand das Hemd bügeln muss.

Und so sind die alten Regeln des guten Anziehens überholt und neue nicht in Sicht.

Nicht im Sinn des „anything goes“. Sondern dass man die kulturelle Kompetenz hat, seine eigene Sprache zu sprechen.

Das ist recht allgemein.

Es ist eine ganz grundlegende Veränderung. Natürlich können Sie auch auf die Modemessen gehen und auf Trendvorträgen hören, dass für den Sommer 2007 ganz viele kleine Buttons kommen, Rot-Weiß und Pastelltöne. Aber wenn Sie mit den Leuten in der Branche sprechen, ist nichts peinlicher, als genauso gekleidet zu sein, wie es die traditionellen Modemagazine vorgeben.

Interview: Friederike Gräff