: Für den Bahnhof Zoo ist der Zug abgefahren
Die Bahn stuft den Traditionsbahnhof zur Regionalstation herunter und düpiert damit den rot-roten Senat. Ab Mai 2006 soll der neue Hauptbahnhof zur zentralen Drehscheibe werden und ein Drittel aller Züge durch den Nord-Süd-Tunnel düsen
VON ULRICH SCHULTE
Ab Mai 2006 wird im Bahnhof Zoologischer Garten kein ICE mehr halten. Im Verkehrskonzept für Berlin, das die Bahn gestern vorstellte, taucht der Westberliner Traditionsbahnhof nur mehr als Station für S-Bahnen und Regionalzüge auf. Zug fahrende BerlinerInnen müssen sich nach den Plänen auf die größte Netzreform seit der Wende einstellen: Der neue Hauptbahnhof – einst Lehrter Bahnhof – wird zur zentralen Drehscheibe und geht zum 28. Mai ans Netz, ebenso die unterirdische Trasse unter dem Tiergarten. Sie soll künftig den Verkehr in Nord-Süd-Richtung bündeln. Auch der Regionalverkehr wird rundumerneuert (siehe Kasten).
Karl-Friedrich Rausch, Personenverkehrsvorstand der Bahn, sagte gestern: „Das Netz wird zuverlässiger und komfortabler. Bisher notwendige Umleitungen von Nord-Süd-Strecken über die Stadtbahn fallen weg.“ Ein Drittel der Fernverkehrs- und Regionalzüge fährt künftig unterirdisch im Tiergartentunnel.
Lediglich ICE-Linien aus dem Westen, die in Köln, Frankfurt am Main und Amsterdam starten, werden den alten Weg bis zum Ostbahnhof nehmen, im Bahnhof Zoo aber durchrauschen. „Natürlich wird das Fahrgäste verprellen“, kritisiert Christfried Tschepe, Chef des Fahrgastverbandes Igeb. „Im Moment steigen über 50 Prozent der Fernreisenden am Zoo ein und aus.“
Anders geführt werden ICEs und ICs auf der Nord-Süd-Route, zum Beispiel der ICE aus Hamburg über Berlin und Leipzig nach München. Ab Spandau düst er über Jungfernheide bis Moabit mit Tempo 160, dann biegt er in den Tunnel ein. Die Fahrtzeit von Berlin nach Leipzig soll 40 Minuten kürzer werden. Flottere Reisezeiten sind das Hauptargument für die Bahn, den Bahnhof Zoo vom Fernnetz zu nehmen. „In der Konkurrenz mit Auto und Flugzeug müssen wir um jede Minute kämpfen“, sagte Rausch.
Mit der Zoo-Abkopplung hat das Unternehmen dem Anfang der 90er-Jahre beschlossenen Pilzkonzept – das man sich als auf den Stadtplan gelegte Champignon-Silhouette vorstellen muss – den linken Teil des Hutes amputiert. Dennoch verfügt Berlin in Zukunft über ein komfortables Netz mit zwei neuen Fernverkehrshalten Südkreuz (noch: Papestraße) und Gesundbrunnen, in das Bund, Land und Bahn seit der Wende 10 Milliarden Euro investiert haben. „Wir haben für die nächsten 50 Jahre gebaut“, sagte Rausch. Will heißen: Alles ist eine Nummer zu groß, wird aber die überstrapazierte Stadtbahn entlasten.
Mit der gestrigen Ankündigung rückt die Bahn auch von Planungen ab, die im Mai bekannt wurden und heftigen Protest in der Stadt provozierten. Sie sahen vor, dass der Fernverkehr komplett von der Stadtbahn in den Nord-Süd-Tunnel verlagert würde. Die jetzige Version düpiert dennoch den rot-roten Senat. Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer wie der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hatten sich bis zuletzt in Chefgesprächen mit Hartmut Mehdorn für den Halt von ICEs im Bahnhof Zoo stark gemacht.
Man bedauere die Entscheidung außerordentlich, hieß es in der Verkehrsverwaltung. „Für viele Menschen ist das eine radikale Umstellung, die auch zu Problemen führen wird“, sagte eine Sprecherin. Der neue Hauptbahnhof sei längst nicht so gut angebunden wie der Bahnhof Zoo in seinem gewachsenen Viertel.
Die neue Zentralstation jazzte Wolf-Dieter Siebert, Vorstandschef der DB Station&Service AG, zur künftigen „Erlebniswelt“ auf 16.000 Quadratmetern hoch. „Bis zur Eröffnung wird die Immobilie hundertprozentig ausgelastet sein“, so Siebert. Einen der beiden Bügelbauten wird die Bahn selbst nutzen, für den anderen sucht sie noch Mieter.
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