Der Tod in der Savanne

Millionen Kenianer sind von jahrelanger Trockenheit bedroht, die Kühe der Nomaden streiten mit Wildtieren um das wenige Gras

Vier Millionen Kenianer brauchen Nahrungshilfe, das Vieh stirbt

AUS GARBA TULLA ILONA EVELEENS

Elefanten überqueren wie in Zeitlupe den Weg. Jeder ihrer Schritte lässt eine Staubwolke aufwirbeln. Es ist ein Bild, wie geschaffen für Touristen. Plötzlich ist Muhen zu hören: Eine Gruppe von sicher fünfzig Kühen überquert den Weg. „Diese verdammten Nomaden“, ruft Parkwächter Peter Gitonga. „Sie wissen, dass ihre Kühe nicht im Wildpark grasen dürfen.“

In Kenias Meru-Nationalpark, 350 Kilometer nördlich der Hauptstadt Nairobi, herrscht Krieg. Die Naturparkbehörde Kenya Wildlife Service (KWS) hat Flugzeuge und Hubschrauber im Einsatz, um Vieh und Hirten zu verjagen. Aber immer wieder kehren sie zurück. „Wir schätzen, dass es ungefähr 5.000 Kühe im Park gibt“, sagt Peter Gitonga.

In Kenia herrscht schon seit mehr als zwei Jahren eine verheerende Dürre. Die Folgen, vor allem im traditionell trockenen Norden, sind gravierend: 4 Millionen Kenianer brauchen Nahrungshilfe, das Vieh stirbt. Selbst im 870 Quadratkilometer großen Meru-Park haben die Elefanten große Schwierigkeiten, ihren täglichen Bedarf von 150 Kilo Nahrung und 100 Liter Wasser zu decken. Aber immerhin gibt es innerhalb des Parks noch Gras, außerhalb kaum noch.

Elefanten gegen Kühe

Kein Wunder, dass die Hirten der Region ihre Herden in den Nationalpark schicken. Ein Elefant trompetet, und ein paar Sekunden später überqueren die Kühe im Galopp den Weg wieder in die andere Richtung. Hinter ihnen her rennen zwei dünne, junge Hirten. Peter Gitonga kichert. „Die Kühe sind den Elefanten begegnet. Elefanten mögen keine Rivalitäten, und es ist klar, wer der Chef ist.“ Kämpfe um das wenige Futter und Wasser gibt es nicht nur zwischen wilden und domestizierten Tieren. Es gab auch schon Streit zwischen Elefanten und Giraffen um Akazienbäume, von denen beide gerne fressen.

Durch den Meru-Park strömen normalerweise vierzehn große und kleine Flüsse. Jetzt sind die meisten ausgetrocknet. „Wir können nicht länger abwarten und auf Mutter Natur vertrauen. Wir müssen eingreifen, um eine Katastrophe zu verhindern“, meint Gitonga.

Weiter nördlich ist die Katastrophe schon da. Wo der Nationalpark zu Ende ist, hört auch die Teerstraße auf. Danach kommen nur noch Staubpisten. Ab und zu liegen von der Hitze aufgeblähte tote Tiere am Wegesrand. Hundert Kilometer nordöstlich des Meru-Parks liegt Garba Tulla. Der Ort ist das Zentrum des Hirtenvolks der Waso Borana. Gras existiert hier nicht mehr, es gibt nur noch Sand und Staub. Die Sonne hat jede Farbe aus der Savanne vertrieben. Vögel sieht man hier kaum mehr, nur Nashornvögel fliegen hörbar von Akazie zu Akazie. Vor vier Jahren wimmelte es hier noch von fetten Kühen und springenden Ziegen. Die Hirten sangen Lieder über ihre Tiere. Jetzt sind die Ebenen verlassen bis auf einige Gruppen Dromedare.

„Unsere Kühe, die noch leben, sind jetzt im Meru-Park“, erzählt Boru Wako. „Ich verstehe nicht, warum die Parkwächter in diesen Zeiten unser Vieh dort nicht grasen lassen. Es gibt dort zwar wenig Gras, aber es ist Gras. Es ist eine Sache von Leben und Tod.“ Der Nomade mit dem hennaorange gefärbten Bart, wie er bei älteren Muslimen in Kenia und Somalia üblich ist, überlässt das Hüten der Tiere der nächsten Generation. Er hat das Wandern mit dem Vieh aufgegeben und wohnt in Garba Tulla, wo er seine Zeit mit Gesprächen über die Dürre totschlägt.

Zwei Drittel von Kenia sind Wüste oder Halbwüste, besiedelt von rund 4 Millionen Nomaden. Etwas anderes als Viehzucht oder eben Nationalparks ist hier in der Savanne nicht möglich. Die Waso Borana können mit ihrem Vieh nirgendwo anders hin als in den Meru-Park. Die benachbarten Nomadenvölker wollen sie nicht auf ihr Gebiet lassen, weil es auch dort kaum etwas zu fressen gibt. Die Viehdiebstähle nehmen zu, wenn die Dürren beißen.

„Jeder redet von zwei Jahren Dürre, aber hier hat es schon seit vier Jahren nicht mehr geregnet“, erzählt Boru Wako. Die Hirtenvölker geben den Zeiten ohne Regen Namen wie „Dürre der trockenen Häute“ und „Dürre der sterbenden Bäume“. Die letzte große Dürre gab es 2000. Die letzte davor war vor 37 Jahren. Die Dürren werden häufiger und dauern länger. Der Klimawandel ist dafür verantwortlich, aber nicht nur. Die Hirtenvölker und ihre Herden wachsen, die Weidegebiete schrumpfen. Immer mehr Grasland wird abgezäunt oder zu Schutzgebieten erklärt. Für die Hirtenvölker, die dort wohnen, tun Kenias Regierungen seit der Unabhängigkeit 1963 nichts. Dass die erst vor wenigen Jahren asphaltierte Teerstraße durch den Meru-Park am Parkausgang endet, ist ein Beleg dafür. „Die Regierung glaubt, dass wir keine guten Straßen brauchen“, meint Boru Wako zynisch.

Viehzucht als Lebensstil

Geht das jahrtausendealte Nomadenleben in Ostafrikas Savannen zu Ende? Viehzucht ist nicht nur eine Beschäftigung, sondern ein Lebensstil. Die Kühe sind der Reichtum der Nomaden, die Ziegen ihr Taschengeld. Dürren gab es auch früher, aber nicht so häufig wie jetzt. Nomadenvölker konnten sich immer anpassen. Doch die Veränderungen kommen immer schneller.

„Immer mehr Kühe sterben. Das Vieh erholt sich auch kaum von der ständigen Unterernährung. Wir erleiden Verluste und werden immer ärmer. Ich sehe keine Zukunft mehr mit diesem Leben.“ In der Stimme von Boru Wako liegt Traurigkeit, als er sagt: „Wir schicken jetzt alle unsere Kinder in die Schule.“

Schule statt Savanne

Seit in Kenia 2003 kostenloser Grundschulunterricht eingeführt wurde, gehen Millionen Kinder mehr zur Schule. Hirtenvölker waren immer skeptisch gegenüber dem Sinn eines Schulbesuchs. Sie waren überzeugt, dass Lesen und Schreiben nicht nötig wären. Alles Wichtige zum Überleben würden ihre Kinder in den Savannen lernen.

Heute ist das anders: „96 Prozent der Waso-Borana-Kinder gehen jetzt in die Schule“, sagt Abduba Daudi, zuständig für die Lehrerausbildung in dieser Region. „Die Eltern wollen, dass sie später in die Städte ziehen, um Arbeit zu finden. Keine leichte Sache in einem Land, wo die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos ist.“ Er glaubt, dass die Zahl der Schüler auch deshalb so hoch ist, weil die Kinder in der Schule eine Mahlzeit bekommen – manchmal das einzige Essen am Tag.

Ungefähr 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Kenia erwirtschaftet die Viehzucht. Dennoch sind die Nomaden marginalisiert. Erst im vergangenen Jahr wurde ein eigenes Ministerium für den Norden und andere Wüstengebiete gegründet. Es verfügt über gerade mal 0,05 Prozent des Staatshaushalts. Weil die Hirtenvölker in der Vergangenheit kaum Schulbildung hatten, sind sie auch kaum in der Politik vertreten, und sie haben keine Lobby. Die Menschen im Norden haben das Gefühl, nicht dazuzugehören. Wenn sie in die Hauptstadt Nairobi fahren, sagen sie: „Ich fahre nach Kenia.“

Aber sie müssen dorthin, denn Schlachthöfe für Vieh gibt es in der Nomadenregion nicht. Der nächste Schlachthof für die Waso Borana steht am Rande von Nairobi, hunderte von Kilometern entfernt. Viehtransport per Lastwagen können sie nicht bezahlen, zum Laufen ist es zu weit. Sie sind abhängig von Zwischenhändlern, die für die Kühe wenig Geld zahlen und damit großen Profit machen.

Es dauert lange, bis die Nomaden aufgeben. Ihr Vieh verkaufen sie erst, wenn die Tiere sterben und die Preise im Keller sind. Dann verdienen sie allerdings nichts mehr. „Wir sind halt Optimisten und hoffen immer auf bessere Zeiten“, meint Boru Wako. „Aber auch wenn ich weiß, dass eine schlimme Dürre kommt, kann ich mein Vieh nicht verkaufen. Das liegt mir nicht im Blut.“ Alte Nomadenmänner sagen von sich selbst: An erster Stelle lieben sie ihre Kühe, dann ihre Kinder und dann ihre Frauen.

Die junge Generation geht anders mit dem Leben um. Adam Galgado, der hunderte Kilometer weit weg in Eldoret, auf der anderen Seite von Kenia, Englisch studiert, verbringt seine Ferien hier bei seinen Eltern. Die Kühe seines Vaters, der Lehrer ist, zahlen quasi für die Universität. „Ich will später kein Hirte werden“, sagt er. „Aber ich will Vieh besitzen. Das gehört zu meiner Kultur, das macht mich zu einen richtigen Waso Borana. Doch ich werde es wirtschaftlicher machen. Ich verkaufe, wenn die Dürre anfängt, und kaufe neue Tiere, wenn es wieder regnet.“

Hilfsorganisationen propagieren Landwirtschaft als Nebentätigkeit für Nomaden, damit diese die Dürre überleben können. Eine Gruppe Waso Borana in Gafarsa, einem Dorf nordöstlich von Garba Tulla, hat gezwungenermaßen Erfahrung darin gesammelt. Die Regierung nahm ihnen in den 60er-Jahren das meiste ihres Viehbestands weg, weil sie in einem Grenzstreit zwischen Kenia und Somalia die Seite Somalias gewählt hatten. Die Waso Borana sind entfernt mit den ethnischen Somalis in Nordostkenia verwandt.

Ohne Vieh waren sie gezwungen, sich zu Bauern umzuschulen. „Wir gruben Bewässerungskanäle zum Fluss Wuaso Ng’iro, wir betrieben Ackerbau und konnten sogar noch etwas auf dem Markt verkaufen und hatten dann immer noch genug für uns selbst“, erzählt stolz Haro Halaka. „Mit dem Gewinn kauften wir neue Kühe, weil wir in unserem Herz Nomaden bleiben“.

Aber vor fünf Jahren vernichtete eine Flut die Ernte und die Bewässerungskanäle. Und der Fluss Wuaso Ng’iro spielte den sesshaft gewordenen Nomaden einen Streich: Er wurde selbst zum Nomaden. Sein Lauf entfernte sich um sieben Kilometer von den bewässerten Feldern. Und heute, in der Dürre, geht es ihm wie den menschlichen Nomaden auch: Er ist ausgetrocknet. Zum ersten Mal seit Menschengedenken.