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Archiv-Artikel

Sprache in neuer Form

BEYOND WORDS Eine Irakrede als Zelt und Hineingekritzeltes: Die GAK zeigt äußerst unterschiedliche Verknüpfungen von Sprache und Bild

Die Künstlerin Kajsa Dahlberg hat alle Berliner Leihbibliotheken besucht und 433 Exemplare des Buches „A Room of One’s Own“ von Virginia Woolf durchgearbeitet. Die hineingeschriebenen Kommentare von Lesern hat sie kopiert und daraus eine neue Ausgabe gemacht. Der Titel „Ein Zimmer für sich/Ein eigenes Zimmer/Ein Zimmer für sich allein/Vierhundertdreiunddreißig Bibliotheken“ entstammt der deutschen Übersetzung. Die handgeschriebenen Kommentare ergänzen den Ursprungstext und machen die sonst unsichtbare Ebene des Lesers sichtbar.

Zu Beginn der Ausstellung „Beyond Words“ in der Gesellschaft für aktuelle Kunst am 23. Juni standen die 433 gelben Reclam Bücher noch geordnet, als ein kompakter Block auf mehreren Regalbrettern. In den Büchern soll nun geblättert, sie sollen sogar mit genommen werden. Nach vier Tagen sind es schon viel weniger: Die Besucher werden dadurch zum Mitgestalter der Installation.

Geht man in den nächsten Raum, steht man vor einem 3 x 4 x 2 Meter großem Objekt aus buntem Zeltstoff. Es hat den Titel „45 Minutes“. Jesse Ash hat hierfür Tony Blairs Rede von 2002, die den Eintritt Großbritanniens in den Irakkrieg rechtfertigen sollte, zum Anlass genommen. Blair behauptete damals, der Irak würde 45 Minuten brauchen, um seine Massenvernichtungswaffen startklar zu machen und wäre damit eine direkte Bedrohung. Aus abstrakten Zeichnungen von Torso und Gestik Blairs während seiner Rede, entwickelte Ash durch Ausschneiden und Falten die Vorlage für das Objekt. Die abstrakten Formen, auf einen Alurahmen gespannt, haben neun verschiedene Farben. Der Titel besteht ebenfalls aus neun Buchstaben. Das fragile, fast spielerisch wirkende Objekt steht in starkem Kontrast zum Schwergewicht der politischen Rede. Ash hat Sprache und Gestik eine völlig neue Form verliehen.

18 Künstler äußern sich zur Verschränkung von Sprache und Bild. Visuelles lässt sich durch Wörter erfassen und wiedergeben. Umgekehrt können Worte auf visuelle Erscheinungen einwirken. Deutlich wird, dass sich das Verhältnis von Sprache und Bildern seit der Etablierung von Sprache als Trägermedium in der Konzeptkunst der 1970er-Jahre verändert hat und facettenreicher geworden ist.

HELENA MÖLLER

bis 9. September