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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLEN Aus verwaschenen Soundlandschaften erklingt verhallter Gesang

Mile Me Deaf: „Eat Skull“ (Fettkakao/Siluh)

Momente freudiger Ausgelassenheit blitzen auf

Alles kulminiert im vorweihnachtlichen Wien, 2010, als die US-Band Eat Skull ein Konzert spielt. Die erste große Tour wird für die Youngsters zur Katastrophe: zu viel Alkohol, zu wenig Schlaf, irgendwann brennen auf der Bühne die Sicherungen durch. „Sie haben angefangen, sich zu prügeln,“ erzählt Wolfgang Möstl. „Das hat mich beeindruckt.“

Möstl ist keiner, der es zulässt, dass derlei Exzesse sein eigenes künstlerisches Schaffen gefährden. Was einen so großen Eindruck auf ihn gemacht hat, dass er sein Debütalbum kurzerhand „Eat Skull“ genannt hat, war vielmehr der Moment des Scheiterns, bei dem es, so Möstl, „wirklich um alles geht“.

Wirklich um alles geht es für den gebürtigen Steirer nämlich schon seit zehn Jahren. Mit Freunden hat Möstl, damals noch im elterlichen Bauernhaus am Lande lebend, das Indie-Noise-Rock-Ungetüm Killed By 9V Batteries gegründet, und sich den Wunsch erfüllt, „einmal in einer Band Gitarre zu spielen und ein bisschen zu singen“. Zur gleichen Zeit beginnt er auch ein Soloprojekt. „Aus Trotz“, wie Möstl rückblickend erklärt. Seine Leidenschaft grenzt schon immer an Rastlosigkeit: „Ich will jeden Tag Songs schreiben und proben. Das kann ich meinen Kollegen, die zwischendurch mal eine Auszeit brauchen, nicht antun.“

So wird Mile Me Deaf zum großen Experimentierfeld für Möstl, bei dem er ungehindert jeder musikalischen Eingebung folgen kann. Vielleicht wäre sein Soloprojekt ein wenig beachtetes Ventil für ungefilterten Überschwang geblieben, wäre er 2010 nicht dem Ruf eines neuen Bandprojekts, der Sex Jams, von Graz nach Wien gefolgt. Als er seinem Sex-Jams-Kollegen Florian Seyser Mile-Me-Deaf-Skizzen vorspielt, hat ihn dieser zur Veröffentlichung gedrängt. Genau wie in den Anfängen, als Möstl eine Matratze in den Hühnerstall seiner Eltern bugsiert hat, um sich dort zum Aufnehmen einzuschließen, hat er sich nun in einer kleinen Wohnung in Wien verschanzt, um den tranceartigen Aufnahmezustand heraufzubeschwören.

„Eat Skull“ hat Möstl, ausgestattet mit Keyboard, Drum Computer, Mundharmonika und Gitarre praktisch im Alleingang eingespielt. Und so hat er einen Sound kreiert, irgendwo zwischen Lo-Fi-Pop, Chillwave und Grunge-Versatzstücken. Vereinzelt lässt Möstl den Geist seiner noisigen Bands auferstehen, aber im gleichen Atemzug setzt er sich durch mehr Pop-Appeal wieder davon ab. Aus den verwaschenen Soundlandschaften erklingt ein verhallter Gesang, und zwischen den skizzenartigen, teils düsteren Lyrics blitzen Momente freudiger Ausgelassenheit auf.

Diese lieblich-beschwingte Stimmung unterstreicht nicht zuletzt der Videoclip zur Singleauskopplung „Wild At Heart“, bei dem der drahtige Musiker zwischen Luftballons in Herzensform und Seifenblasen tanzt. Wolferl wäre jedenfalls nicht Wolferl, stünde der Tatendurstige nach dem aktuellen Soloalbum nicht bereits wieder für Albumaufnahmen im Studio. Dieses Mal mit Sex Jams.

SARAH-ANTONIA BRUGNER