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Archiv-Artikel

Ekstase in engen Hosen

Geben wir uns dem Moment hin und denken nicht an Vergleiche: Dann waren The Killers im Postbahnhof einfach mitreißend gut. Und sorgten für Euphorie, obwohl sie sich körpertechnisch kaum Mühe zu geben schienen

The Killers sind nicht Maximo Park, nicht die Libertines und nicht Bloc Party. Keine Band, bei der man in einigen Jahrzehnten rückblickend damals unbedingt dabei gewesen sein musste, weil sie versprachen, irgendein Leben zu verändern, möglicherweise sogar das eigene. Dafür weist die Musik doch zu viele Schwächen auf, zu viel Synthie-Sounds, zu viel Pop, zu viele Anklänge bei den Achtzigern, stellenweise dürftige Lyrics, das ganze Pathos, das man von Muse kennt und natürlich von dieser einen Band aus Irland, an deren Unforgettable Fire man unweigerlich immer wieder denken muss.

Aber was soll’s? Auf Konzerten werden die Karten ohnehin noch mal neu gemischt. Durchwachsene Texte stören hier weniger, erst recht, wenn sie in einer Fremdsprache daherkommen. Da zählt der Moment, nicht der Kopf. Das Publikum im Postbahnhof, wen wundert’s, besteht mal wieder aus den üblichen Verdächtigen, die man bei allen KarreraKlub-Veranstaltungen antrifft: Retros, Mods und Edelpunks, die obligatorischen Trainingsjacken, Nietengürtel und Tococtronic-Frisuren muss man nicht lange suchen. Immerhin, der Verkäufer am Devotionalienstand trägt ein T-Shirt von Interpol. Insgesamt ein sehr niedriger Altersdurchschnitt – Peter Radzun von Radio 1 als Lichtblick für die Endzwanziger, die sich trotzdem noch nicht alt fühlen möchten – und ein hoher Mädchenanteil, dank Sänger Brandon Flowers, dessen Aussehen ihm Zutritt zu jeder Boygroup verschaffen dürfte.

Die Vorband, British Sea Power aus Brighton, hat musikalisch durchaus Potenzial und erinnert mit ihrem Geschrammel teilweise an Sonic Youth. Gitarren und Bass hängen ein bisschen zu hoch und der weiße Strickpulli ihres Frontmanns passt eigentlich nicht zum offensichtlichen Stilbemühen der Menge. Sie werden dennoch sehr wohlwollend aufgenommen. Im großen und mittlerweile diffusen Britpop-Universum hält man zusammen.

Um viertel elf ist es schließlich so weit. Als Intro ertönt Where do I begin von Andy Williams. Momente später schlendern Ronnie Vanucci, Dave Keuning, Mark Stoermer und Brandon Flowers in die Arena. Man hat nicht den Eindruck, dass sie es besonders eilig haben. Der Opener, Midnight Show, ist zwar eine schnellere Nummer, zählt aber eher zu den schwächeren Stücken auf ihrem Debüt Hot Fuss. Und Flowers ist zunächst auch mehr mit seinem Keyboard denn mit seinen Fans beschäftigt. Die scheint das alles aber nicht zu stören. Verblüffend und beeindruckend, mit wie wenig Körpereinsatz von oben das Publikum unten in Euphorie versetzt wird. Hot Hot Heat, eine Band, bei denen dem Bewegungsspielraum des Sängers ebenfalls durch sein Keyboard enge Grenzen gesetzt sind, hatten vor kurzem im Kesselhaus der Kulturbrauerei deutlich mehr Mühe, obgleich sie sich diese auch wirklich gaben. Flowers hingegen stolziert ab und zu dandyhaft ein paar Schritte in seinen viel zu engen Hosen über die Bühne, hebt kurz seinen Arm, und die Menge ist in kollektiver Ekstase. Schwer, sich diesem Sog zu entziehen. Spätestens mit dem vierten Song, Somebody told me, hat es auch die hintersten Reihen erfasst, selbst die so renitenten Ränder sind infiziert, singen, grölen. Tausende Arme in der Luft, die Masse zittert, bebt, nein, springt, und am Ende, nach einer knappen Stunde und zwei Zugaben, fällt sie erschöpft und beglückt wieder in sich zusammen.

Sicherlich, The Killers sind auch nach diesem Abend nicht Maximo Park, Mando Diao oder Bloc Party. Gut möglich, dass sie in zwei Jahren vergessen sein werden, schließlich sind viele der Fans heute Abend noch so jung, dass ihnen noch genug Zeit verbleibt, sich eine andere Lieblingsband zu suchen. Aber der Moment war trotzdem gut.

STEPHAN ZEISIG