: Unglück bei Sonnenuntergang
Endlich wieder Leben in der Bude: Weil der neue Theaterbau der Stadt auf sich warten lässt, spielt das Hans-Otto-Theater Potsdam in Schlössern und Villen. Wie maßgeschneidert wirkt die Kulisse für Fontane, Shakespeare, Tschechow und Co.
VON ESTHER SLEVOGT
Seit einem Jahr leitet der Regisseur Uwe Eric Laufenberg das Potsdamer Hans-Otto-Theater mit ebenso viel Ehrgeiz wie Erfindungsgeist. Beides braucht er auch, denn das Hans-Otto-Theater spielt schon lange in Provisorien und dümpelte auch künstlerisch die letzten Jahre eher im Trüben. Ein Neubau am Alten Markt, noch zu DDR-Zeiten begonnen, passte den Potsdamern der Nachwendezeit nicht mehr ins historische Gesicht und wurde wieder abgerissen. Der nächste Neubau, den diesmal Gottfried Böhm für das Areal eines ehemaligen Gaswerkes an der Schiffbauergasse entworfen hat, kann erst im Herbst nächsten Jahres fertig werden.
Doch schon in seiner ersten Spielzeit hat Laufenberg aus der Not eine Tugend gemacht und einfach noch mehr Theaterspielplätze eröffnet. „Unterwegs“ war sein Motto für die erste Spielzeit, die schönsten Gebrauch von der historischen-architektonischen Pracht der Stadt machte. Adriana Altarass inszenierte Alan Ayckbourns Komödie „Haus & Garten“ im 30er-Jahre-Pavillon und im wieder hergestellten alten Garten von Karl Foerster auf der Freundschaftsinsel. Das wunderbare Rokoko-Theater im Neuen Palais wurde ebenso bespielt wie die Villa Kellermann am Heiligen See, wo es Kai Hensels „Welche Droge passt zu mir“ zu sehen gab. Das Palais Lichtenau, das Friedrich Wilhelm II. Ende des 18. Jahrhunderts für seine Geliebte Wilhelmine Enke erbauen ließ, verwandelte sich in das gründerzeitliche Wohnhaus der Jenny Treibel, die in Anne-Sylvie Königs Dramatisierung des berühmten Fontane-Romans Katharina Thalbach spielte.
Als letzen Coup der Inbesitznahme der Stadt hat Laufenberg nun die großartige Morbidezza der Orangerie im Park von Sanssouci als Kulisse für zwei Aufführungen gewählt, die den ganzen Juli über laufen. William Shakespeares melancholische Komödie „Was ihr wollt“ und Anton Tschechows „Onkel Wanja“ werden vom selben Ensemble gespielt, weil Laufenberg und sein Co-Regisseur Tobias Sosinka in den Strukturen der unglücklich überkreuz verlaufenden Liebes- und Begehrenslinien beider Stücke Ähnlichkeiten sehen. So wie bei Tschechow Henrik Schubert als Hausarzt Astrow zum Beispiel die junge Gutsherrengattin Jelena (Adina Vetter) liebt, liebt er als Herzog Orsino dann bei Shakespeare die Gräfin Olivia (auch Adina Vetter), beide Male selbstverständlich vergeblich.
Vom Zuschauerpodest aus blickt man einige hundert Meter weit, vorbei an Säulen und enormen Fensterfronten, in denen sich das Abendlicht bricht. Irgendwo weit hinten hat Bühnenbildner Gisbert Jäkel eine Art See gebaut, über den ein schmaler Steg führt. Von einem Schirm behütet betreten in Anlehnung an Robert Capas berühmtes Bild von Picasso und Françoise Gillot hier später die junge Jelena und ihr alter Mann, Professor Serebjakow, samt Entourage die Szenerie. Sie durchqueren die ganze Tiefe des Raums, balancieren über den Steg, während vorne an einem langen Tisch schon ein Haufen desillusionierter Leute sitzt.
Da hat sich Friedrich Wilhelms IV. Winterquartier für die exotischen Pflanzen des Parks längst in das Gut verwandelt, das Anton Tschechows Onkel Wanja für seinen Schwager, den Professor, verwaltet. Der hat nach dem Tod seiner ersten Frau nun die junge Jelena geheiratet. Für all die verlorenen Seelen der Provinz wird sie jetzt zum Fluchtpunkt ihrer unerfüllten Sehnsüchteleien nach dem Leben. Doch plötzlich will dann der Professor das Gut verkaufen.
So ein Haufen unglücklicher und gelangweilter Menschen macht sich im Licht der untergehenden Sonne natürlich besonders gut. Aber Gott sei Dank spielen Laufenberg, der unter Bernd Wilms Oberspielleiter des Maxim Gorki Theaters war, und sein Co-Regisseur nicht auf der Gefühlsklaviatur spätbürgerlicher Überempfindlichkeiten und legen ihre Figuren außerordentlich deftig an. Schon Christian Klischats Wanja ist ganz ein Mensch von heute: ein cholerischer Kleinbürger, der nicht weiß, wohin mit sich und seinem Leben. Er schreit und macht Jelena unbeholfene Avancen. Einmal wird er vor Wut sogar auf seinen Schwager schießen. Aber so ein Wanja trifft natürlich nicht.
Seine Nichte Sonja (Meriam Abbas) marschiert in Gummistiefeln wie ein trotziges Kind durchs Bild. Sie liebt den Arzt, den Henrik Schubert als mittelmäßigen Schönling mit durchschnittlichen Eitelkeitswerten spielt und der natürlich Jelena und nicht diesen blaustrümpfigen Trampel liebt. Die 24-jährige Adina Vetter bewegt sich als das allgemeine Sehnsuchtsobjekt Jelena mit der langbeinigen Grazie einer Frau, die weder mit sich noch mit ihrer Schönheit etwas anfangen kann. Ihr alter Mann (Günter Junghans) sieht in seinem schrecklichen grünen Anzug neben ihr noch älter aus. Schön sind die Nebenfiguren, der uralte, zerbrechliche Telegin (Günter Rüger) und Marina, die alte Kinderfrau (Gisela Leipert). Sie illustrieren sehr schön das sterbenslangweilige, aber funktionierende soziale System des Guts, das durch den geplanten Verkauf kurzfristig zu zerbrechen droht.
Manchmal sehnt man sich dann trotzdem ein bisschen nach ein paar spätbürgerlichen Überempfindlichkeiten und vor allem der schwebenden Melancholie, mit der man Tschechow auch inszenieren kann. Aber dann durchbricht wieder ein schwerer Sonnenstrahl eine schwarze Wolke und taucht die Szene in ein überirdisches Licht. In solchen Momenten spielt das Theater sowieso eine Nebenrolle.
In der Orangerie Potsdam: „Was ihr wollt“ am 8./13./14./20./22. Juli um 20 Uhr, am 9./10./16./23. Juli um 16 Uhr. „Onkel Wanja“ am 9./15./21./23. um 20 Uhr, am 16. um 16 Uhr