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Archiv-Artikel

Ganz legal: Ultrarechte haben Waffen

Es ist immer das Gleiche. Nach einem Amoklauf wie in Winnenden fordern Politiker Sofortmaßnahmen – etwa die Verschärfung des Waffenrechts und härtere Kontrollen. Auch die neue rot-grüne Landesregierung in Baden-Württemberg schrieb dies im Mai 2011 in ihren Koalitionsvertrag. Außerdem versprach das Bündnis, es wolle den Rechtsextremismus „entschlossen bekämpfen“. Konkret ist jedoch nicht viel geschehen. Kaum zu glauben, aber wahr: Rechtsextreme besitzen Waffen, und das ganz legal

von Helmut Lorscheid

Die Stuttgarter Koalitionäre setzten sich vor dreizehn Monaten ein klares Ziel: „Über eine Bundesratsinitiative werden wir eine Verschärfung des Waffenrechts angehen, insbesondere mit dem Ziel, ein generelles Verbot für den Privatbesitz von großkalibrigen Faustfeuerwaffen durchzusetzen (mit Ausnahme der Jäger).“ Auch die Kontrolle der sogenannten Altfälle unter den Sportschützen müsse „strenger und rechtssicher“ geregelt werden.

„Rechten auf die Pelle rücken“

Anlässlich der Haushaltsberatungen versicherte Innenminister Reinhold Gall am 8. Februar 2012 im Landtag, beides gleichzeitig anzugehen – den Kampf gegen rechts und gegen großkalibrige Waffen bei Sportschützen. Der Sozialdemokrat: „Gemeinsam mit den Waffenbehörden werden Polizei und Verfassungsschutz Waffenbesitzer im rechtsextremistischen Bereich – die gibt es nun einmal – kontrollieren. Mit repressiven Maßnahmen werden wir denen – ich sage es einmal so – auf die Pelle rücken, um dort Druck auszuüben.“

Die Adressaten waren damit öffentlich vorgewarnt. Im März meldeten die Innenbehörden Vollzug, landesweit seien „waffenrechtliche Kontrollen bei Angehörigen der rechten Szene“ durchgesetzt worden. Immerhin 80 Prozent der kontrollierten Rechtsextremisten hätten ihre Waffen und Munition ordnungsgemäß aufbewahrt. Die Beanstandungsquote von 20 Prozent, vier Fälle, lägen damit „nicht höher als bei den bisherigen Aufbewahrungskontrollen der Waffenbehörden“.

Ursprünglich war die Überprüfung von 37 Waffenbesitzern geplant, die der rechten Szene angehören oder einen Bezug zu ihr aufweisen. Nach „näherer Abstimmung mit den zuständigen Waffenbehörden“ wurde jedoch bei zwölf Personen auf eine Kontrolle verzichtet, weil diese „nicht (mehr) im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis“ oder „im Besitz von Schusswaffen sind oder weil sie von der Waffenbehörde erst vor kurzer Zeit kontrolliert wurden und sich dabei keine Beanstandungen bei der Aufbewahrung ihrer Waffen ergaben …“ Während sonst gern die Parole „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ von den Sicherheitsbehörden ausgegeben wird, klingt das eher nach Umkehrung. Man vertraute einfach älteren Erkenntnissen.

Kontrolle „zu einem späteren Zeitpunkt“

Dass sich zwischen Rhetorik im Landtag und Behördenrealität schnell mal eine Kluft auftut, belegt eine weitere – irritierende – Erkenntnis. Immerhin fünf Personen wurden laut Auskunft des baden-württembergischen Innenministeriums bei der landesweiten Razzia im März nicht angetroffen. Noch drei Monate später waren sie laut offizieller Darstellung nicht überprüft. Sie sollen „zu einem späteren Zeitpunkt“ nachkontrolliert werden.

Von den 37 behördlich bekannten rechtsextremen Waffenträgern in Baden-Württemberg wurden bisher also lediglich 20 tatsächlich überprüft (Stand 19. Juni). Laut Stuttgarter Innenministerium haben 16 von ihnen „Waffen und Munition vorschriftsgemäß aufbewahrt“. Bei vier Personen wurden allerdings gravierende Aufbewahrungsverstöße registriert. In drei Fällen wurden die Waffen nicht in den vorgeschriebenen Schränken aufbewahrt. Einer der Besitzer hatte seine Knarre in der Wohnung seiner Mutter deponiert. Ein Waffenbesitzer war im Besitz von Munition, die er als Erbe erworben hatte, für die er aber keine Besitzerlaubnis hat.

Lörracher Neonazi im Schützenverein

Die außerhalb der vorgeschriebenen Sicherheitsbehältnisse aufbewahrten Waffen und die Munition wurden beschlagnahmt. Weitere Sanktionen wie Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis, Strafanzeige oder Bußgeld werden laut Ministerium „von den zuständigen Waffenbehörden geprüft oder wurden bereits veranlasst“. (Siehe unten: „Wenig Informationen über rechtsextreme Waffenträger“.)

Dass es Handlungsbedarf in Baden-Württemberg gibt, zeigt der Fall des Lörracher Neonazis Thomas B., Mitglied in einem Großkaliber-Schützenverein. Auch mehr als ein halbes Jahr nach einem Bericht des ARD-Magazins „Monitor“ über diesen Fall ist B. offenbar weiterhin im Besitz von Waffen und Inhaber einer Waffenbesitzkarte. Der Lörracher Bürgermeister Michael Wilke verweigerte gegenüber Kontext hierzu eine klare Aussage. Seiner Meinung nach liegt der Anfrage „kein berechtigtes Interesse des Auskunftsersuchenden“ zugrunde.

Ob angesichts der jüngsten Gewalttaten mit Sportwaffen großkalibrige Waffen weiterhin für den Schießsport zugelassen werden sollten, wird derzeit politisch und gesellschaftlich sehr kontrovers diskutiert. In ihrem Koalitionsvertrag sprechen sich Grüne und SPD im Südwesten für ein gesetzliches Verbot großkalibriger Waffen in Privatbesitz aus.

Bundesinnenminister lehnt Verschärfung ab

Konkret ist jedoch noch nicht viel geschehen. Galls Pressesprecher gegenüber Kontext: „Innenminister Reinhold Gall hat diese Forderung in einem Schreiben an den Bundesinnenminister bekräftigt. Das Bundesinnenministerium hat eine entsprechende Änderung des Waffengesetzes leider abgelehnt.“ Die angekündigte Bundesratsinitiative steht noch aus.

Dabei fände sie wohl durchaus Unterstützer. So hatte sich Bremens Innensenator nach Winnenden gegen großkalibrige Sportwaffen ausgesprochen, konnte aber weder im Kreis der Innenminister noch auf Bundesebene eine Mehrheit dafür gewinnen. Und auch Nordrhein-Westfalen verweist darauf, im Bundesrat eine Verschärfung des Waffenrechts gefordert zu haben. Nun agieren in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein neue Mehrheiten und Landesregierungen mit SPD-Beteiligung. Es gibt also keinen praktischen Hinderungsgrund mehr für einen neuen Vorstoß.

Wenig Informationen über rechtsextreme Waffenträger

Die Voraussetzungen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit sind in Paragraf 5 Waffengesetz (WaffG) geregelt. Die bloße Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen Partei oder Gruppe genügt als Versagungsgrund nicht. Es kommt auf das gerichtsfest nachweisbare Verhalten des Einzelnen an. Während der Bund bei Linksextremisten und Islamisten stets bestens informiert ist oder zumindest diesen Eindruck erzeugt, weiß er bei Nazis mit Waffenschein gar nichts. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums schrieb auf Nachfrage: „Der Vollzug des Waffengesetzes ist eine Angelegenheit der Länder. Die Länder sind danach nicht zum Führen von Statistiken verpflichtet und gegenüber dem Bund nicht berichtspflichtig.“ Kontext fragte deshalb in allen Bundesländern nach, ob dort Rechtsextremisten mit Waffenschein bekannt sind. Aus den bis zum Redaktionsschluss vorliegenden Antworten ergibt sich folgendes Bild.

Kontext-Umfrage in Bundesländern

Waffen in den Händen von Rechtsextremen gibt es nicht nur in Baden-Württemberg. In Bremen wurden bei sechs Neonazis Waffen sichergestellt. In vier Fällen wurde ihnen wegen ihres rechtsextremistischen Hintergrunds der Besitz von Waffen und Munition untersagt, die Ausrüstungen wurden sichergestellt.

In Sachsen, dies ergab auch eine Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz, besitzen aktuell 38 Rechtsextreme 156 Lang- und Kurzwaffen – ganz legal. In Berlin sind bislang „keine legalen Besitzer erlaubnispflichtiger Schusswaffen als Angehörige der rechtsextremistischen Szene festgestellt worden“.

Nicht anders im Land Brandenburg. Lediglich eine Person verfügt dort über den „kleinen Waffenschein“. Dieser ist erforderlich zum Führen von Schreckschuss- oder Reizstoffwaffen.

Auch aus Rheinland-Pfalz sind keine konkreten Zahlen zu erfahren. Dort werden Waffenbesitzer laut Darstellung des Innenministeriums „regelmäßig spätestens alle drei Jahre und darüber hinaus natürlich anlassbezogen auf ihre Zuverlässigkeit und persönliche Eignung überprüft“. Dies gilt insbesondere für Personen, die im Verdacht stehen, extremistischen oder kriminellen Gruppierungen anzugehören.

Das Saarland gibt Entwarnung: „Bei diesem Personenkreis wurde bisher kein unzuverlässiger Waffenbesitzer festgestellt.“ Der bayerische Innenminister versichert, seit Jahren würden alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten genutzt, um zu verhindern, „dass Rechtsextremisten erlaubnispflichtige Waffen legal erhalten“. So sei bereits 2003 im Waffengesetz auf Initiative Bayerns die aktive extremistische Betätigung als Grund aufgenommen worden, Waffenerlaubnisse zu versagen.

Die Bundesanwaltschaft, die bei „Islamismusverdacht“ selbst Verfahren gegen 14-jährige Computerkids an sich zieht, führt keine Statistik zu der Frage, wie viele Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung oder wegen Terrorismusverdacht in den vergangenen drei Jahren gegen Rechtsextremisten in Deutschland geführt wurden.