: Menschen, die durch die Welt trampen
REISEN Schönes Buch über zielloses Herumflanieren: „Rumgurken“ von Tex Rubinowitz
Es gibt einzelne Künstler und solche, die aus einer bestimmten Generationserfahrung sprechen. Bei Tex Rubinowitz ist es die Generation derer, die nun auf die 50 zugehen oder schon zugegangen sind, die Anfang der sechziger Jahre geboren sind, die mit Glamrock und Punk großgeworden sind, im Herzen junggeblieben, die oft in unterschiedlichen Genres arbeiten (Rubinowitz ist Witzezeichner, Maler, Musiker und Schriftsteller) und einen ähnlichen, tendenziell norddeutschen Humor pflegen.
In seinem Reisebuch „Rumgurken“ zitiert und begleitet Rubinowitz einige dieser Generationskollegen: Martin Sonneborn, Wiglaf Droste, Heinz Strunk, Max Goldt, Max und Wolfgang Müller, Joachim Lottmann, Felix Kubin, Peter Wawerzinek und viele andere. Rubinowitz schreibt nicht von der Familie her – „Mein Vater war ein echter Kotzbrocken“, heißt es in der ersten Geschichte –, sondern aus einer (eher familienfeindlichen) Gruppenerfahrung heraus.
Nimmt man noch die vielen im Buch zitierten und analysierten Musikstücke dazu, kann man sagen, dass sich „Rumgurken“ geschmackstechnisch ziemlich genau positioniert. Dass man die im Buch erwähnten Stücke größtenteils bei YouTube nachhören kann, vergrößert das Lesevergnügen. Und im Gegensatz etwa zu Ulrich Peltzers vielgelobtem Roman „Teil der Lösung“ sind die Lieder authentisch. Während Peltzer seine Helden Lieder hören lässt, die er selber – so liest es sich jedenfalls – lediglich recherchiert hat, ohne mit ihnen gelebt zu haben, ist Rubinowitz’ Musikauswahl naturgemäß (er ist ja auch Musiker bei der Band Mäuse und legt auf) stimmiger, nonkonsensueller Schmalz oft.
„Rumgurken“ ist ein schönes Buch. In manchen Momenten erinnert es an das großartige „Afrika“ von Heinz Strunk. Rubinowitz redet nur länger – als Kind hat er sogar mit Holz geredet – und liebt die Abschweifung. Sein Buch besteht aus 15 Geschichten oder Reiseerzählungen. Einige reichen zurück in die siebziger Jahre, erzählen vom Trampen, vom ziellosen Herumflanieren in der Welt. Es sind typische Tramperlebnisse junger Männer, man lernt jemand kennen, wird eingeladen, bei ihm zu schlafen, und weil der Gastgeber schwul ist und außerdem viel größer und stärker als man selbst, flieht man wieder aus plötzlicher Angst. Wobei die Details dieser Geschichte bei Rubinowitz ziemlich irrwitzig und lustig sind.
In einer anderen Geschichte fährt er nach Porto. Porto ist „eine verrottete, kariöse Stadt, in der die Möwen das urbane Gefüge prägen“, „eine Stadt, die offenbar nur noch von Katzenpisse zusammengehalten wird“. Hier besucht Rubinowitz eine geleierte Lesung von Ingo Schulz. Der Dichter wird von Hubert Winkels begleitet und moderiert. Außer den Mitarbeitern vom Goethe-Institut ist ein Gast gekommen, der allerdings schläft. Später gibt es ein zufälliges Gespräch mit einem kommunistischen Politiker und seiner schönen Tochter.
Im finnischen Norden ist er mit zwei Teenagermädchen, Max Goldt und Wiglaf Droste. Die Rückfahrt ist sehr schön gelungen. Zweimal erzählt er vom Bachmannpreislesen in Klagenfurt; zweimal ist er beim europäischen Schlagerwettbewerb, wobei das zweite Mal, in Baku, mit dem Dichter Joachim Lottmann, glaube ich, ausgedacht ist. Er fährt nach Thimphu, der Hauptstadt Bhutans, um eine Ampel dort hinzubringen, ins japanische Beppu, um an einer Kunstausstellung teilzunehmen (was leider nicht gelingt).
Mit Martin Sonneborn versucht er, in Usbekistan einen Elefanten zu kaufen. In Berlin spricht er mit Wolfgang Müller, dem Gründungsmitglied der Tödlichen Doris, der wahrscheinlich noch redseliger ist als Rubinowitz. Es gibt eine schöne Passage über die Unhöflichkeit der öffentlichen Handytelefoniererei und wie ihr zu begegnen ist; im Italientext wird das Land ein bisschen heruntergemacht; manche Texte tendieren zum Reisefeuilleton, andere sind eher literarisch, und der schönste Text, ganz am Ende, erzählt von einer Reise nach Ostende und ist schlichtweg ergreifend.
„Wir leben alle falsch und alle wissen das, und es gibt keine Alternative dazu.“
DETLEF KUHLBRODT
■ Tex Rubinowitz: „Rumgurken“. Rowohlt, Reinbek 2012, 224 S., 11,99 Euro