: Graue Prozession
Regine Bonkes „Gegenstände für den geistigen Gebrauch“ im Museum für Kunst und Gewerbe
Welchen Gesetzen sie folgen, das wissen sie nicht. Müssen sie auch nicht, denn um gedeutet zu werden, wurden sie schließlich gemacht: die grauen Kuben der Regine Bonke, die derzeit im „Freiraum“ des Museums für Kunst und Gewerbe zu sehen sind – und die ganz schlicht Zeugnisse konkreter Kunst wären, spielte die Künstlerin nicht ein zusätzliches subtiles Spiel: das von Realität und Illusion, das von eingebildeter und echter Materie, von der Anpassung der Gegenstände an ihre Umgebung gar.
Denn aus der Ferne wirken sie wie Betonklötze, die am Boden liegenden, teilnahmslos aus dem Fenster des zweiten Stockwerks schauenden Stelen. Schwer wie die hauseigenen Betonsäulen, an die sie sich schmiegen, sehen sie aus, schwer genug, um zu fragen: Was verbirgt sich hinter Beton? Was kann entspringen aus diesem Material, das pflichtschuldigst auf nichts außerhalb seiner selbst verweist und sich jeder Wort- und Farbgebung so wirkungsvoll verweigert? Ist dies als kühle Grenzziehung für den menschlichen Geist gedacht, der doch so gern deuten möchte? Als Bevormundung, als Fesselung der Phantasie gar, die ebenso abgezirkelt gehört wie diese Quader? Oder bilden diese Objekte die Unmöglichkeit wirklich freien Denkens angesichts der „Sachzwang“-Ideologie unserer Gesellschaft ab?
Viele Fragen – doch Täuschung ist alles; der zweite Blick offenbart: Aus handgeschöpftem Papier wurden die Quader gefertigt. Unerwartete Leichtigkeit durchweht plötzlich jene, die bereits 2001 im gotischen Burgkloster zu Lübeck lagen; leichter werden sofort des Betrachters Gedanken, von neuer Erkenntnis beflügelt.
Trotzdem – an Symbolkraft verliert es nicht, das neonblaue Lichtlein, das da in einer Ecke leuchtet: genau dort nämlich, wo eigentlich der 70. Quader hätte liegen sollen. Doch der passte nicht mehr ganz zwischen Wand und Raum; ein Viertelchen ist geblieben. Eine bewusste Asymmetrie, ein winzig kleines Ausbrechen aus der Neustrukturierung des Museumsareals durch die Quaderprozession – und ein winziges Quentchen Hoffnung: Es gibt sie also doch, die Rebellion gegen die Ordnung. Insbesondere gegen die Neuordnung, die sich von der hergebrachten nur winzigst unterschied. An Perfektionssucht stand sie der alten jedenfalls keineswegs nach. Und ist, wie schön, an sich selbst gescheitert. Petra Schellen
Regine Bonke: Gegenstände für den geistigen Gebrauch. Di –So 10–18, Do bis 21 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe; bis 24.7.