: Tränen über Laberland
Im Herbst soll es eine neue Regierung in Deutschland geben – na und?
Schon wieder herrscht peinliche Untergangsstimmung im Land. Gerhard Schröder kommt, wie es aussieht, auf den Müll, und das ist doch gut. Der asozialen Karikatur eines Restsozialdemokraten muss man keine Träne hinterherweinen. Das Argument, alles, was nach ihm komme, sei womöglich noch abstoßender, zählt nicht. Weg ist weg, und weg ist gut. Mögen sich anschließend andere blamieren bei der hilflosen Elendsverwaltung, die Regieren genannt wird.
Woher die Verzweiflung, die Angst, der Pessimismus? Doris Köpf, früher Focus, heute Schröder, kürzlich noch vom Fachblatt Bunte zur „wichtigsten Frau des Jahres 2004“ gewählt, ist abgemeiert und darf sich mit dem Stern juristisch darüber herumschlagen, ob sie die Entscheidungen ihres Gatten fällt oder nicht. Das sind so Karrieren – wenn sie zu Ende gehen, ist das nur erfreulich. Irgendjemand anderes wird ihren Platz in der Welt von Bild und Bunte einnehmen. Na und?
Auch unsere Grünen werden niemandem fehlen – auf das bisschen Dosenpfand ist gepfiffen, und für etwas anderes ist die Partei der Labberlappen ohnehin nicht zuständig. Ob ein Grüner die Notwendigkeit von Kriegen beschreit oder ob das traditionell ein Konservativer tut, spielt keine Rolle. Bei den Grünen ist es deshalb noch etwas ekliger, weil ihre Feldwebel dabei nicht ohne Tränenfluss auskommen und exhibitionistisch das seifige Terrain vorzeigen, das sie ihr Gewissen nennen.
Eine rot-grüne Regierung, die nichts von dem tat, wofür sie gewählt wurde, wird entlassen, die Regierung, die ihr folgt, wird kein bisschen weniger grauenhaft sein. Warum also sollte man sich grämen? Oder aufgeregt die Apokalypse beschreien? Die letzten Zuckungen des Regimes Schröder-Fischer kann man sich ganz entspannt ankucken, wie unter Glas. Das zeitgleich abgesonderte Vorfreudegeheul der Merkel-Westerwelle-Truppen mag eine unangenehme Begleiterscheinung sein, die man aber ignorieren kann: Merkel und Westerwelle sind erledigte Fälle lange vor einem möglichen Amtsantritt.
In einem Land, in dem ein früh vergreister Streber wie Eckhard von Klaeden sich ernsthafte Hoffnungen machen darf, Minister zu werden, stimmt gar nichts mehr. Der Nachwuchsglibber von der CDU kann das aber nur tun, weil vor ihm das Valium in Menschengestalt Antje Vollmer jahrelang ein politisches Amt bekleidete, anstatt dass man sie mit der Mistforke nach Bielefeld-Gadderbaum zurückgejagt hätte.
Das Volk ist zu duldsam, und das nicht aus Großzügigkeit, sondern aus reiner Bequemlichkeit. Es will regiert werden und gesagt bekommen, wo es langgeht. Diese Haltung, die in Wahrheit eben das Gegenteil einer Haltung ist, beflügelt die Karrieren öffentlicher Spam-Personen.
Um davon abzulenken, wurde ein Nebenschauplatz eröffnet: die neue Linkspartei. Die zwei reichlich abgehalfterten Sozialdemokraten Lafontaine und Gysi, beide längst verabschiedet, aber aus Sucht nach Öffentlichkeit wieder auferstanden, bieten sich als Alternative an. Das ist eher drollig, doch bekommt man die beiden als Gespenst des Kommunismus an die Wand gepinselt.
Weil der Mahner und Warner als solcher nicht aussterben will, bewerben deutsche Schriftsteller die angeblich „neulinke“ Truppe als Gottseibeiuns – dabei handelt es sich doch bloß um Traditionssozialdemokraten, die auf manchen Betrachter linkssozialistisch wirken, weil alle anderen im Land längst meilenweit nach rechts und ins Asoziale gedriftet sind. Ende Juni hämmerten ein paar hommes et femmes de lettre einen Aufruf ins Land, der an Hysterie und Tränensackschwere nichts zu wünschen übrig ließ: „Gingen unsere verunsicherten Bürger populistischen Demagogen und Antieuropäern wie Gysi und Lafontaine auf den Leim“, hieß es wörtlich, „wäre die Demokratie wie in der Weimarer Republik auch in der Bundesrepublik bedroht.“
Zu den Erstunterzeichnern gehören: Wolf Biermann, der 1976 in die BRD eingewiesen wurde und seitdem keine Gelegenheit verstreichen lässt, armrudernd und lauthals auf die ebenso unangenehme wie langweilige Tatsache seiner Existenz hinzuweisen; Günter Kunert, seit eh und je in Biermanns Fahrwasser; Peter Schneider, der sich gern von Gerhard Schröder Gassi führen lässt; Hans Christoph Buch, der seinen Nachnamen als Aufforderung missversteht, selbst Bücher zu veröffentlichen, zur Qual aller, die versehentlich mal eins der Teile zur Hand nahmen.
Sie und ihre Mitläufer sehen Lafontaine in die Fußstapfen von Jürgen Möllemann und „anderer Populisten am rechten Rand der Gesellschaft“ treten – dabei ist es doch Gysi, der ebenfalls gelegentlich öffentlichkeitswirksam mit dem Fallschirm abspringt.
Verwegen, stolz und mutig präsentieren die biermann- und schneiderdeutschen Intellektuellen die ihnen eigene aggressive Bewusstlosigkeit. Sie sind, und das ist schon ein richtiges Kunststück, sogar noch bigotter, unappetitlicher und anödender als die Politiker, in deren Popos sie wohnen. WIGLAF DROSTE