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Archiv-Artikel

Terrorfolgen überschaubar

Die Wirtschaft ist bei den Londoner Anschlägen glimpflich davon gekommen. Nur Zufall? Einer OECD-Studie zufolge gehen Unternehmen viel zu sorglos mit dem Terrorrisiko um

BERLIN taz Die Branche hatte es eilig. Noch bevor klar ist, welchen finanziellen Schaden die Terroranschläge von London verursacht haben, überschlugen sich die Versicherungskonzerne gestern in Beschwichtigungen: Die Wirtschaft – damit meinten sie in ersten Linie sich selbst – sei glimpflich davongekommen. Denn die Schadenssumme dürfte zu einem Großteil über den Rückversicherer Pool Re abgedeckt werden.

Pool Re ist ein Pool für Terrorrisiken, den die Versicherer in Großbritannien 1993 mit staatlicher Unterstützung gegründet hatten. Seitdem müssen sie bei durch Terroranschläge verursachten Schäden bis zu 75 Millionen Pfund (rund 109 Millionen Euro) selbst zahlen, bis zu 2 Milliarden Pfund übernimmt dann der Pool, danach ist der Staat dran. Auch die deutsche Allianz ist an Pool Re beteiligt. Sie rechnet mit einem Selbstbehalt in Höhe eines „einstelligen Millionen-Euro-Betrags“.

In Großbritannien sind alle führenden Versicherungskonzerne auf diese Weise abgesichert – und so in der Lage, anderen Unternehmen Policen gegen Terrorrisiken anzubieten. In Deutschland dagegen übernehmen nur wenige Versicherungen Terrorschäden. Und dann nur gegen immense Prämien und mit begrenzter Schadenssumme.

Deshalb hatte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft vor drei Jahren die Kölner Extremus gegründet, die ausschließlich Terrorversicherungen anbietet. Ein Großteil des Risikos trägt auch hier der Staat: Er springt für Schäden ein, die über zwei Milliarden Euro hinausgehen, allerdings höchstens mit insgesamt 10 Milliarden Euro. Nur: Angenommen wird das Angebot kaum. Im vergangenen Jahr hatte Extremus gerade 1.070 Unternehmen als Kunden, Tendenz 2005: fallend.

Kein Wunder, dass die OECD in ihrer erst kurz vor den Londoner Anschlägen veröffentlichten Studie „Absicherung von Terrorrisiken in den OECD-Ländern“ deutliche Kritik formulierte: Die Gefahr von Terrorangriffen werde „völlig unterschätzt“, heißt es dort. In den einzelnen Ländern allerdings unterschiedlich stark: Während beispielsweise in den USA jedes zweite Unternehmen gegen Terrorschäden versichert sei, gelte das in Deutschland nicht einmal für jedes dreißigste. Hochriskant, meinen die Experten: „In Ländern, in denen nur eine geringe Terrorismusversicherungsabdeckung besteht, könnte ein großer Terrorangriff heute noch mehr Schaden anrichten als im Jahr 2001.“

Man müsse davon ausgehen, dass militante Gruppen sich immer stärker an globalen Ziele und möglichst hohen Opferzahlen orientierten. Eine „neue und ungeheuer bedrohliche“ Gefahr gehe dabei von chemischen, biologischen oder atomaren Angriffen aus – „genau den Risiken, gegen die man sich am schwersten versichern kann“.

Die Anschläge vom 11. September hatten Schäden von mindestens 31,7 Milliarden US-Dollar verursacht. Die OECD rechnet bei einem neuen Großangriff sogar mit potenziellen Summen zwischen 50 und 250 Milliarden Dollar. Die privaten Versicherer und Rückversicherer seien kaum in der Lage, solche Ausfälle aus eigener Kraft zu finanzieren. Dazu benötige man die „gebündelten Kapazitäten von Privatwirtschaft und Regierungen“.

Für Länder mit einer so geringen freiwilligen Abdeckung wie in Deutschland empfiehlt die OECD jedoch eine schnelle Regulierung: Sie müssten die Versicherung gegen Terrorschäden zur Pflicht machen. B. Willms