: Musikalischen Aufbruch sichtbar machen
FREIBILD Eine Ausstellung in der Köpenicker Galerie Grünstraße zeigt Fotos, Plattencover und Plakate des 1969 gegründeten Musikerkollektivs Free Music Production, das zur Institution des Free Jazz wurde
VON TIM CASPAR BOEHME
Eigentlich schien mit der großen Retrospektive-Box des Labels FMP von 2010 schon alles gesagt. Nach 41 Jahren Pionierarbeit für den freien Jazz Europas mit rund 300 Veröffentlichungen verabschiedete sich die Berliner Free Music Production endgültig aus dem aktiven Geschäft. Jetzt hat sich Jost Gebers, Mitgründer des 1969 gegründeten Musikerkollektivs und späterer Produzent des Plattenlabels, für einen weiteren Schritt in Richtung Historisierung entschieden: In der Galerie Grünstraße im Zentrum der Köpenicker Altstadt bietet eine Ausstellung mit Fotos, Plattencovern und Plakaten Einblicke in eine zentrale Epoche der frei improvisierten Musik.
Free Jazz entstand aus dem Freiheitsbedürfnis seiner Vertreter, eine Musik zu spielen, die weder Vorgaben noch ökonomischen Erfolg benötigt, um etwas zu schaffen, das ganz aus dem Moment geboren zu sein scheint und im allmählichen Ertasten des dabei gewonnenen Freiraums eine kontinuierliche Entwicklung beschreibt. Nachvollziehen lässt sich dieser Werdegang für Nachgeborene bloß mit den überlieferten Aufnahmen, was die Bedeutung von FMP nur noch verstärkt – und es um so bedauerlicher macht, dass der Großteil der wegweisenden Aufnahmen von Musikern wie dem Saxofonisten Peter Brötzmann, dem Bassisten Peter Kowald, dem Gitarristen und Daxophon-Erfinder Hans Reichel oder dem Schlagzeuger Han Bennink mittlerweile vergriffen ist.
In dieser Hinsicht hat die Ausstellung eine zweifache Gedächtnisfunktion: Indem sie Fotografien der Musiker, Konzertplakate aus den Siebzigern und Achtzigern und eine Vielzahl von Plattencovern der gezeigten Instrumentalisten nebeneinander stellt, macht sie nicht nur die Protagonisten des europäischen Free Jazz noch einmal sichtbar, sondern auch ihre Tonträgerhinterlassenschaften, die selbst weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Die oft von Gebers oder den Musikern selbst gestalteten Entwürfe unterstreichen zudem die konsequente künstlerische Selbstbehauptung der Beteiligten.
Dass die auf Europa konzentrierte Szene weit über die Grenzen des Kontinents hinaus strahlte, belegen die Fotos mit dem US-amerikanischen Pianisten Cecil Taylor, von dessen Wirken in der Stadt auch die stattliche Box „Cecil Taylor in Berlin ’88“ Zeugnis ablegt, oder Plakate von seinem Landsmann, dem Saxofonisten John Tchicai, einem Weggefährten unter anderem John Coltranes. Humor offenbart die Ausstellung ebenfalls, etwa mit einigen Briefen Han Benninks an Gebers. Der niederländische Schlagzeuger bittet Gebers darin unter anderem um Nachsicht für seine unvollkommene Beherrschung des Deutschen: „Entschüldigung für die Grammatikafehler“. Eine schöne Erinnerung, die zugleich den Wunsch weckt, dass die FMP eines Tages vielleicht doch wieder zum Leben erweckt wird, als klingendes Archiv. Die Platten hätten es verdient.
Bis 25. Juli, Galerie Grünstraße, Di.–Fr. 13–19 Uhr, Sa. 10–14 Uhr