ERST BÖLLERN NUR DIE ITALIENER, DANN KRACHT DER GANZE HIMMEL. ABER DAZWISCHEN IST NOCH ZEIT, SICH VON SÄMTLICHEN THEATERSPERENZCHEN ABZUWENDEN
: Die Natur ist doch die größte Performerin

CHRISTIANE RÖSINGER

Das Wochenende fängt ja bekanntlich am Donnerstag an, und da war ja noch Fußball – im Südblock wurde ohne Hymnen und Flaggen geguckt, es war voll und relativ unaufgeregt. Aber trotz der vorbildlich antinationalen Sportbeobachtung war am Ende die Enttäuschung unter den Zuschauern groß, denn recht parteiisch hatten die meisten auch nach dem Elfmeter noch auf ein Wunder gehofft. Es hat nicht sollen sein. Aber wer hätte gedacht, dass so viele Italiener am Kotti wohnen? Überall krachte und böllerte es!

Man muss in allem auch das Gute sehen, dachte ich. Wenn die deutsche Elf aus dem Halbfinale rausfliegt, ist es zwar ein bisschen traurig, hat aber auch den Vorteil, dass weniger Fußballidioten unterwegs sind und dass man sich nicht wegen der deutschen Fußball- und Europolitik-Vorherrschaft ansprechen lassen muss. Mit diesen tröstlichen Gedanken trat ich den Heimweg an, geschickt den durch die Oranienstraße marodierenden, rot-weiß-grün gewandeten Jugendlichen ausweichend, die hirnlos die White-Stripes-Melodie vor sich her brüllten.

Hippokrates’ Empfehlung

Freitag diente der Kontemplation, eine leichte Sommerdepression tat ihr Übriges. Es lag nicht an dem verlorenen Spiel, aber wenn mehrere elektrische Geräte den Geist aufgeben und dazu noch eine alte, löchrige Freundschaft ganz auseinanderfällt, kann man schon mal melancholisch werden. „Hauptsache, raus“!, empfahl ja schon Hippokrates in solchen Fällen.

Im Hebbel am Ufer feierte man den Abschied von Matthias Lilienthal. Deshalb ließ Patrick Wengenroth mit dem Sing- und Sprechspiel „Ich bleibe doch“ die neunjährige Schaffensperiode des Intendanten Revue passieren. Nicht alle Anspielungen und Seitenhiebe verstand man als mittelmäßig Theateraffine, es ging wohl um Kulturpolitik, postmigrantisches Theater, das Sexleben der Produktionsassistentinnen und Wowi. Lilienthal wurde liebevoll als außerhalb Berlins schwer vermittelbarer Workaholic dargestellt, dazwischen wurde sehr schön gesungen. Wengenroth sang unbekannte Udo-Jürgens-Lieder und Eva Löbau brachte eine tolle Interpretation von Heinz Schenks Existenzialistenhit „Es ist alles nur geliehen“.

Ich muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Kolumne ja „Ausgehen und Rumstehen“ und nicht „Reingehen und Zuhören“ heißt. Da der Titel von mir selbst stammt und ich ihn in einer schwachen Stunde der taz zur Verwertung auf bis zu 70 Jahre nach meinem Tod überlassen habe, sah ich es als berichterstatterische Pflicht an, mir nicht das ganze Programm mit finnischen Heine-Interpreten und Peaches-Karaoke anzuschauen, sondern, wie die anderen 800 Menschen, draußen rumzustehen.

Im Wau legte ja auch schon DJ Vaginal Davis auf und die Crowd tanzte wild. Heiß war es, tropisch schwül, und dann kam der eigentliche Star des Abends: das Gewitter!! Blitze zuckten, krachten im Sekundentakt, man drängte unter das Vordach, sprach über Tod durch Blitzschlag und betrachtete den Regen, der auch auf den Bühnenaufbau der Videoleinwand niederging. Eine Plane füllte sich mit Wasser und hing bald bis zum Platzen gefüllt unter dem Dachaufbau. Gebannt starrte die Menge auf das Schauspiel, während doch vorher sämtliche Theatersperenzchen (Nacktheit, Sex, Rumschreien und sich in irren Kostümen auf dem Boden wälzen) auf Großleinwand nur mäßiges Interesse hervorgerufen hatten. Schließlich gab die Plane nach und – man weiß nicht wie viele – Hektoliter Wasser ergossen sich, begleitet von Entzückensschreien und dem Applaus des Publikums, auf den Platz vor dem Wau. „Die Natur ist doch die größte Performerin!“, dachte ich da für mich, aber das hatte ja Hippokrates auch schon gesagt.