: Milch in den Venen
Real Madrid kehrt auf den Boden zurück und will künftig nur noch eine stinknormale Fußballmannschaft sein
MADRID taz ■ Diese Saisonvorbereitung beginnt für Real Madrid wie für jede Kreisligamannschaft auch: Einer bringt einen Ball mit, und der Trainer lässt sie nicht damit spielen. Torwart Iker Casillas schmuggelt den Fußball auf das Spielfeld, es sind noch ein paar Minuten bis zum Trainingsauftakt der Saison 05/06. Casillas denkt, wir passen uns den Ball ein bisschen zu – und Stürmer Ronaldo knallt ihn mit Karacho auf den Torwart. Ein Scherz unter Fußballern. Doch schon ist Schluss mit lustig: Der Ball ist bei Trainer Wanderley Luxemburgo gelandet, und der gibt ihn nicht mehr her. Die Spieler werden für eine halbe Stunde zum Laufen geschickt.
So begann am Freitag beim erfolgreichsten Verein der Fußballgeschichte auf profane Art eine neue Zeit: Mit dem Rundendrehen auf der Tartanbahn, für Teams aller Klassen das meist gehasste Element der Vorbereitung, startete Real ins Jahr eins nach dem Sturz aus der Galaxis. Gescheitert ist die Idee, eine Elf zu kreieren, wie es sie noch nie gab, los galácticos; Real Madrid soll nun einfach wieder eine ganz normale Spitzenelf werden. Ein Team, das vielleicht nicht mehr jedes Wochenende außerirdisch schön spielt, dafür aber nach zwei Jahren mal wieder eine Trophäe gewinnt.
Die Dynamik des Sports hat Real überrollt, andere geben plötzlich die Mode vor: Den spektakulären Fußball zelebriert der FC Barcelona, der ihnen die Spanische Meisterschaft wegschnappte; den Glamour, den Real sich mit Spielern wie David Beckham einkaufen wollte, strahlt der englische Meister FC Chelsea aus. Nun wird Real zum ersten Mal, seit Florentino Pérez 2001 Präsident wurde, zu Saisonbeginn keinen neuen Bewohner der Galaxis präsentieren. Damit diese Transferperiode nicht zu langweilig wurde, sah sich der Klub gezwungen, auf seiner Internetseite die Rubrik „Die Neuverpflichtungen der Presse“ einzurichten. Dort wurden all die klingenden Namen von Michael Ballack bis Steven Gerrard aufgelistet, die die Zeitungen mit Real in Verbindung brachten. In Wirklichkeit soll noch Robinho vom FC Santos ausgelöst werden, der einmal ein herausragender Stürmer werden könnte, doch solange heißen die Neuen: Carlos Diogo und Pablo García, zwei uruguayische Nationalspieler, Diogo, ein Verteidiger, García, ein Mittelfeld-Workoholic mit, wie Spanier sagen, schlechter Milch in den Venen: bissig, grantig. Das Gegenteil von galaktischer Eleganz. Sie sind die besten Beweise, dass Luxemburgo dabei ist, sich als erster Trainer gegen den Präsidenten zu behaupten.
„Ich will eine Elf, in der sich alle für das Team opfern. Individuelle Stars mag ich nicht“, sagt der Brasilianer, und wer sich anstrengt, versteht ihn sogar: Sein Spanisch besteht auch ein halbes Jahr nach seinen Ankunft in Madrid zu gut sechzig Prozent aus Portugiesisch. „Ich bin der Kommandant und die Spieler die Fußtruppe“, solche Sätze gefallen ihm. Solche Machtansprüche zu demonstrieren traute sich unter Pérez noch kein Trainer. Bisher verpflichtete der Präsident immer, ohne Rücksicht auf taktische Konzepte, wen er wollte, also Superstars. Dieses Jahr faszinierten Pérez zwei junge spanische Sternchen, Reyés von Arsenal London und Joaquín von Betis Sevilla. Keiner wurde verpflichtet – weil ihre Position des Außenstürmers in Luxemburgos Konzept nicht vorkommt.
Im Vergleich mit Barcelona wirkt das neue Real schwächer, auch wenn die Konturen der Elf noch nicht ganz klar zu erkennen sind. Ein Spieler, dessen Abgang eigentlich das Symbol des Neubeginns sein sollte, war am Freitag als Erster auf dem Trainingsplatz, Luís Figo, der erste Galaktische. Sein Wechsel zum FC Liverpool hat sich wegen Reals Ablöseforderung von drei Millionen Euro kompliziert. Auf der Tartanbahn lief Figo wie zum Protest in die andere Richtung als die meisten Real-Spieler – links herum, wie nach englischen Verkehrsregeln.
Real Madrid, das überirdisch sein wollte, ist wieder eine ganz normale Fußballelf: Nach dem Lauftraining lässt der Trainer den einen Fußball fallen, den Torwart Casillas hinausschmuggelte. Keiner hat mehr die Kraft oder Lust, den Ball anzurühren.
RONALD RENG