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Archiv-Artikel

Belgrads Antwort zehn Jahre nach Srebrenica

Unter dem Titel „Die Wahrheit“ strahlen serbische TV-Sender eine einstündige Dokumentation über serbische Kriegsopfer aus. Die Täter waren die anderen. Chef der Serbischen Radikalen Partei: Hetzjagd auf Serben beenden

BELGRAD taz ■ Verstümmelte Leichen, ausgestochene Augen, abgeschnittene Ohren und abgehackte Köpfe, Massengräber, Folter, Demütigung, Leid. Eine Stunde lang zeigte der Film unter dem Titel „Wahrheit“ Kriegsschauplätze in Slowenien, Kroatien und dem Kosovo, hauptsächlich aber in Bosnien und Herzegowina. Alle Opfer waren Serben. Die Täter waren „die anderen“.

Die öffentliche Projektion am Wochenende in der Organisation der nationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) sollte die „serbische“ Antwort auf den zehnten Jahrestag des Massakers in Srebrenica sein. Vier serbische TV-Sender zeigten den Film und schalteten sich live in die Veranstaltung im randvollen Belgrader Kongresszentrum Sava ein. Der Patriarch der serbischen orthodoxen Kirche, Pavle, saß in der ersten Reihe.

Frau und Tochter eines der Opfer, dessen Hinrichtung im Film gezeigt wurde und dem später Muslime den Kopf abgehackt haben sollen, verließen vor dem Beginn der Projektion vom frenetischen Applaus begrüßt den riesigen Saal. Das Publikum war schockiert. Erstarrt beobachteten die Zuschauer wie sich die Szenen im Film, eine brutaler als die andere, begleitet von Motiven aus „Carmina Burana“ und dem „Ritt der Walküre“, abwechselten. Verwesende und verbrannte serbische Leichen, tote serbische Kinder, tote Serben mit durchgeschnittenen Kehlen, weinende serbische Kinder, zerstörte serbische Dörfer, die Verwüstung eines serbisch-orthodoxen Klosters.

Die Zuschauer schluchzten und schimpften. Manche konnten den Anblick nicht länger ertragen und verließen den Saal. „Schau, was sie mit uns gemacht haben“, sagte ein älterer Mann. Trotz allem würde die „ganze Welt“ nur die Serben als „Mördervolk“ darstellen. Man empöre sich allein wegen der von Serben begangenen Verbrechen und schweige über die Verbrechen der Muslime, Kroaten, Albaner.

Mit eben diesem „Stereotyp“ sollte der Film „Wahrheit“ aufräumen und die „Hetzjagd“ auf Serben beenden, meinte Radikalenführer, Tomislav Nikolić. Denn das Verbrechen in Srebrenica sei ein neuer Anlass gewesen für eine Kampagne ausländischer Machtzentren gegen das serbische Volk und Serbien, bei der auch einige serbische Politiker und Nichtregierungsorganisationen mitmachen würden. Die Serben würden alle Verbrechen verurteilen, die serbische Einzeltäter begangen hätten und mit dem Schmerz aller Opfer mitfühlen, so Nikolić. Doch man müsse der Welt zeigen, wie man „uns Serben monströs umbrachte, massakrierte und aus der Heimat vertrieb“. ANDREJ IVANJI

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