: Grüne in NRW spielen Stadt, Land, Frust
Grüne Politiker klagen über eine Benachteiligung des ländlichen Raums: Die mächtigen Verbände der Rhein- und Ruhrschiene beherrschten die Kandidatenaufstellung für die Parlamente – und bildeten so einflussreiche Netzwerke
DÜSSELDORF taz ■ Immer mehr Grüne aus dem ländlichen Raum protestieren gegen die Bundestagsliste ihrer Partei: Die Großstädte der Rhein-Ruhr-Schiene seien bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten bevorzugt worden, sagt etwa Matthias Schulte-Huermann, Bundestagskandidat im Hochsauerlandkreis: „Wer aus der Großstadt kommt, ein offen schwules Schild vor sich herträgt oder schon in einer führenden Position ist, war bei der Listenaufstellung im Vorteil“, poltert Schulte-Huermann. Der Forstwirt aus Sundern-Stockum ist Parteimitglied der Grünen seit 1981.
Der ländliche Raum sei zu einem innerparteilichen „Anhängsel“, zu einer „grotesken Witznummer“ geworden, findet Kandidat Schulte-Huermann – und bekommt vorsichtige Unterstützung durch seinen Kreisverband (KV). „Der ländliche Raum sollte stärker berücksichtigt werden“, sagt auch KV-Sprecherin Mechthild Thorindt. „Wir brauchen zumindest Landtagsabgeordnete.“ Von den zwölf Grünen im Düsseldorfer Landtag vertrete nur Horst Becker, Parlamentarier aus dem 30.000-Einwohner-Städtchen Lohmar im Rhein-Sieg-Kreis, die Interessen der Landbevölkerung.
Auf dem Land gebe es andere Probleme als in der Großstadt, mahnt auch Gerd Sauer, Sprecher des Kreisverbands Olpe – und nennt als Beispiele die Schul-, Wirtschafts- und Verkehrspolitik. „Auf dem platten Land gibt es nun einmal keinen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr, da sind die Leute auf ihre Karre angewiesen.“ Umso wichtiger für die Grünen seien Parlamentarier, „die die Situation auf dem Land gut kennen“.
Der Hintergrund: Auf dem Landesparteitag der Grünen in Düsseldorf hatten die mächtigen grünen Stadtverbände ihre Kandidatinnen und Kandidaten durchgedrückt. Die Spitzenkandidaten Bärbel Höhn und Reinhard Loske vertreten Oberhausen und Leverkusen, es folgen die grüne Landeschefin Britta Haßelmann aus Bielefeld und Volker Beck und Kerstin Müller aus Köln. Erst auf Platz sieben kandidiert Irmingard Schewe-Gerigk vom KV Lippe. Der Parteibezirk Westfalen aber ist mit den Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei (Münster) und Friedrich Ostendorff (Unna) nur auf den schwachen Plätzen zehn und zwölf vertreten. Das grüne Urgestein Christa Nickels aus dem Kreis Heinsberg fiel gleich ganz durch.
Dennoch sei die Kandidatenaufstellung keine Wahl gegen den ländlichen Raum gewesen, hält der Lohmarer Landtagsabgeordnete Becker dagegen. „Gerade der Kreis Heinsberg wurde mit Christa Nickels und der Landtagsabgeordneten Ruth Seidl bisher sehr gut repräsentiert.“ Dennoch seien die Großstädte besser gestellt, findet Becker. Die große grüne Unterstützer- und Sympathisantenszene sorge für große Fraktionen, und die verfügten über Geld und Angestellte, die den Kommunalpolitikern Arbeit abnehmen könnten. „Im ländlichen Raum muss dass alles in ehrenamtlicher Arbeit geleistet werden“, sagt Becker – für parteiinterne Strategietreffen, für die Bildung von Netzwerken bleibt kaum Zeit.
Die Folge: Selbst Wahlplakate sind auf das Leben in der Großstadt ausgerichtet. „Ein Plakat, dass den Flächenverbrauch im ländlichen Raum aufgreift, mussten wir erst durchsetzen“, sagt Becker diplomatisch. „Nach dem Wahlkampf sollten wir Bilanz ziehen, wie wir weniger großstadtbezogen auftreten“ – schließlich müsse ein landesweiter Auftritt der Grünen gesichert werden: „Ich glaube nicht, dass es im ländlichen Raum weniger politische Talente gibt als in der Stadt.“ ANDREAS WYPUTTA