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Archiv-Artikel

Von Peking-Oper bis Multimedia-Spektakel

MUSIK-FESTIVAL In seinem Länderschwerpunkt widmet sich das Schleswig-Holstein Musik Festival bis Ende August mit einem Drittel seiner Veranstaltungen der facettenreichen Kulturszene Chinas. Zu Gast ist unter anderem Komponist und Dirigent Tan Dun

Tan Dun ist einer der renommiertesten interkulturellen Klangkünstler der Welt

VON ROBERT MATTHIES

Es ist die Zurückhaltung, die er sich auferlegt hat, gepaart mit seinem feinen Gespür für Grenzgänge zwischen Klassik und Avantgarde, westlicher Symphonik und chinesischer Tradition, Pop-Kitsch und Tiefsinn, eingängigen Melodien und ungewöhnlicher Instrumentierung, die Tan Dun vor zwölf Jahren seinen Oscar für die Filmmusik zu Ang Lees „Tiger & Dragon“ eingebracht und ihn schlagartig einem breiten Publikum bekannt gemacht hat.

Ein Erfolg, der dem 1957 in einem kleinen Dorf in der chinesischen Provinz Hunan geborenen Komponisten nicht zuletzt gelingen konnte, weil er auch biografisch seit langem zwei Welten miteinander verbindet. Groß geworden mit Bambus-Querflöte, Kniefidel und Geisteroper bei den Großeltern auf dem Land, studierte Tan Dun Ende der 70er, nachdem er seinem kulturevolutionär zugedachten Schicksal als Reisbauer mit einem Peking-Oper-Ensemble entflohen war, am Pekinger Konservatorium die klassische Musik des Westens, zog Mitte der 80er als wissbegieriger Stipendiat nach New York, wo er mit Philip Glass, Steve Reich und John Cage in Kontakt kam, schließlich an der Columbia University promovierte und bis heute lebt.

Eine Geschichte, deren Etappen Tan Dun, längst einer der renommiertesten interkulturellen Klangkünstler der Welt, immer wieder anders mit seiner Musik erzählt. Schon seine erste Oper „Marco Polo“ verknüpft 1996 Elemente von chinesischer und westlicher Oper und wird für ihre ineinander verschachtelte Konstruktion von Kritikern gefeiert.

Seit seiner 2000 in Stuttgart uraufgeführten „Wasser Passion“ nach dem Matthäus-Evangelium, die Wassergeigen und Wasserschalen, in Wasser getauchte Gongs, Schlagwerk, Elektronik und sakralen Chor miteinander verbindet, gilt er als einer der innovativsten Komponisten geistlicher Musik und Pionier der organischen Musik zugleich. Tan Dun lässt traditionelle chinesische Melodien von Saxophon und Cello spielen, verknüpft schamanistische Rituale mit multimedialem Spektakel und komponiert im Auftrag von Google die erste Internetsymphonie für ein Youtube-Orchester mit online gewählten Musikern.

Kein Wunder, dass das 27. Schleswig-Holstein Musik Festival, das im Chinesischen Kulturjahr in Deutschland unter dem Motto „Im Jahr des Drachen“ rund ein Drittel aller Konzerte dem riesigen Land im Fernen Osten widmet, dessen erfolgreichsten Komponisten nun in einer eigene Reihe präsentiert.

Dreimal ist Tan Dun im August als Komponist und Dirigent zu erleben. Am Samstag, den 11. August bringt er mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchester seine „Martial Arts Trilogy“ in der Holstenhalle in Neumünster zur Aufführung, die die Filmmusik zu „Tiger & Dragon“ mit seinen „Wuxia“-Filmsoundtracks zu Zhang Yimous „Hero“ und Feng Xiaogangs „The Banquet“, untermalt mit projizierten Sequenzen aus den Filmen, verknüpft. Eine Woche später feiert in der Hamburger Laeiszhalle seine als Auftragswerk des NDR für den Schlagzeuger Martin Grubinger und das NDR Sinfonieorchester komponierte Arbeit „The Tears of Nature“ anlässlich der Verleihung des Hamburger Bach-Preises an Tan Dun ihre Uraufführung, außerdem sind drei Filmmusiken von Toru Takemitsu und Auszüge aus Prokofieffs „Romeo und Julia“ zu hören. Am Tag darauf wird das Konzert im Flensburger Deutschen Haus wiederholt.

Insgesamt präsentieren 14 Konzertreihen die facettenreiche chinesische Kulturszene. Aktuelle Kammermusik ist dabei ebenso zu erleben wie renommierte chinesische Orchester vom Shanghai Symphony Orchestra bis zum China National Centre for the Performing Arts Orchestra, traditionelle Musik mongolischer Nomaden von der Sängerin Urna Chahar-Tugchi und der Gruppe Egschiglen, Stars wie die Sängerin Dadawa, Peking-Oper und ein traditionelles Schattenspiel-Ensemble. Und natürlich darf Chinas Piano-Star Lang Lang nicht fehlen, der das Abschlusskonzert in der Kieler Sparkassen-Arena mit dem NDR Sinfonieorchester, dirigiert vom musikalischen Leiter des Festivals Christoph Eschenbach, und Werken von Beethoven, Tschaikowsky und Michail Glinka bestreitet.

Ohnehin ist auch das diesjährige Schleswig-Holstein Musik Festival trotz schrumpfenden Besucherzahlen und abgespecktem Programm immer noch ein Musikfest der Superlative. Insgesamt 138 Konzerte, fünf „Musikfeste auf dem Lande“ und zwei Kindermusikfeste finden in den kommenden sieben Wochen an 77 Spielstätten in knapp 50 Orten zwischen Dänemark und Lüneburg statt, mit 15 Spielstätten ist auch der „Spielraum Hamburg“ dabei wieder prominent vertreten. Und auch der Etat stellt andere Festivals seiner Art noch immer in den Schatten: Mit Unterstützung von Sponsoren und trotz erneut gekürztem Landeszuschuss stehen knapp 9 Millionen Euro zur Verfügung.

■ Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen: Sa, 7. 7. bis Sa, 25. 8., Infos und Programm: www.shmf.de